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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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es waren Phantasien, die sie nicht haben wollte, Gedanken, die sie nicht denken wollte. Sie gingen zum Frühstücken in die Küche, Reinhardt goss Kaffee auf.
    »Wenn ich draußen unterwegs bin«, sagte er, »dann halte ich Augen und Ohren offen. Für den Fall, dass er plötzlich auftaucht.«
    Kristine setzte sich an den Tisch.
    »Aber wenn du jetzt jemanden siehst und ihn anzeigst, und dann ist es der Falsche«, sagte sie, »überleg doch mal, wie schrecklich das wäre.«
    »Solche Rücksichten kann ich nicht nehmen. Denk mal nach«, fügte er hinzu, »es gibt nicht viele Menschen auf der Welt, die ihn daran hindern können, sich auch noch einen dritten Jungen zu holen. Aber du und ich, wir können, wir sind in einer besonderen Lage.«
    Seine Augen funkeln, dachte sie, wie ist das möglich.
    Sie bestrich eine Scheibe Brot mit Butter.
    »Vielleicht hast du recht«, sagte sie. »Aber wir können aus dieser besonderen Lage nicht viel machen. So lange er sich nicht blicken lässt.«
    »Früher oder später wird er das tun. Die Frage ist nur, wie viele Kinder er vorher schafft.«
    »Wie heißt er?«, fragte Kristine. »Der verschwundene Junge?«
    »Hat irgendeinen ungewöhnlichen Namen«, sagte Reinhardt. »Edwin. Hoffnungsloser Name für einen kleinen Jungen.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Heißt sicher nach jemandem. Seinem Großvater vielleicht.«
    »Das passt einfach nicht«, sagte Reinhardt. »Edwin ist ein erwachsener Mann, fünfzig oder sechzig.«
    »Aber er wird doch erwachsen«, sagte Kristine. »Klein ist er nur in den ersten zehn Jahren.«
    Sie schwieg. Mehr als diese zehn Jahre hatte er ja nicht bekommen. Sie musterte Reinhardt, der schien unberührt.
    »Es ist seltsam mit euch Männern«, sagte sie.
    »Ach?« Er schaute auf sie herab. »Dann sag mal, was seltsam ist.«
    »Ihr seid so schlicht.«
    »Ach was?«
    »Wenn jemand euch einen Ball gibt, dann lauft ihr dem stundenlang hinterher.«
    »Ha, ha«, lachte Reinhardt. Er amüsierte sich königlich.
    »Ihr hört nie auf zu spielen. Wir Mädchen dagegen, wir sind mit zwölf Jahren erwachsen, wenn wir wissen, dass wir Mütter werden. Ein Kind kann sich nicht um ein Kind kümmern, wir müssen Verantwortung übernehmen.«
    Reinhardts Lächeln wurde jetzt säuerlich.
    »Außerdem besteht ein großer Unterschied zwischen unseren Gehirnen«, sagte sie jetzt, »das habe ich mal im Fernsehen gesehen. Die hatten so eine Graphik mit den Unterschieden gemacht. Die benutzten Gehirngegenden waren rot gefärbt.«
    »Du meine Güte«, sagte Reinhardt belustigt.
    »Und die nicht benutzten waren gelb.«
    Sie trank einen Schluck Kaffee. »Und weißt du was?«
    Sie erwiderte über den Tisch hinweg seinen Blick.
    »Bei euch gab es immer nur einen begrenzten roten Fleck«, sagte sie, »die Aktivität beschränkte sich auf einen kleinen Teil. Aber bei uns war fast das gesamte Gehirn rot. Denn wir können an mehrere Dinge gleichzeitig denken«, triumphierte sie.
    »Aber wir konzentrieren uns auf etwas«, sagte Reinhardt. »Deshalb machen wir uns in höherem Grad bemerkbar als ihr. Ihr verzettelt euch in Bagatellen, und deshalb fällt alles, was ihr tut, mittelmäßig und halbherzig aus.«
    Bei diesen Argumenten wurde ihr schwindlig.
    »Immer haltet ihr an, wenn ein Verkehrsunglück passiert oder wenn es brennt«, sagte sie. »Oder wenn es überhaupt eine Katastrophe gibt.«
    »Ja und?«, fragte er. »Uns geht es um den Adrenalinkick, Kristine, aber das macht uns nicht zu minderwertigen Wesen.«
    »Das habe ich auch nicht gesagt«, verteidigte sie sich.
    »Ich kenne dich doch«, sagte er, »und ich weiß, was du denkst. Aber ich habe keine Angst davor, das zuzugeben. Diese Sache draußen in Huseby interessiert mich.«
    Sie wagte eine gefährliche Behauptung.
    »So redet ein Mann, der keine Kinder hat«, sagte sie.
    Er nickte.
    »Ein guter Grund, es zu lassen, nicht wahr? Wenn man ein Kind macht und es dann verliert, ist der Rest des Lebens ruiniert.«
    »Wir dürfen doch nicht so denken«, widersprach sie.
    Er spülte sein Brot mit Milch hinunter.
    »Genauso müssen wir denken«, sagte er. »Wir müssen alle Eventualitäten in Betracht ziehen. Wir können ein Kind bekommen, und dann wird es krank und stirbt. Oder wir bekommen ein Kind, das überfahren wird. Wir können ein missgestaltetes Kind bekommen, vielleicht hat es keine Arme oder Beine. Wir können ein Kind bekommen, das sich nicht benimmt. Und dann sitzen wir mit unseren Schuldgefühlen da und schämen uns. Oder«,

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