Wer anders liebt (German Edition)
uns bei der Arbeit durchaus amüsieren«, sagte Sejer, »wir brauchen deshalb kein schlechtes Gewissen zu haben.«
»Danke.«
»Keine Ursache. Sag Bescheid, wenn du noch mehr brauchst.«
Eine halbe Stunde darauf hatten sie die Wache erreicht. Skarre ließ sich wie immer vor seinem Computer nieder, Sejer vertiefte sich in die Notizen. Nach und nach machte er Anmerkungen, schrieb den einen oder anderen Satz dazu, davon ausgehend, dass sie es vielleicht mit einem Pädophilen zu tun hatten. Du bist verletzlich, einsam und manipulierend, schrieb er, und du kannst durchaus clever und intelligent sein, aber du besitzt kein Mitgefühl. Du verführst kleine Kinder, und du erzählst ihnen, dass ihr etwas ganz Besonderes erlebt. Niemandem verraten. Ich passe schon auf dich auf. Du bekommst alles, was du willst.
Er nagte ein wenig an seinem Kugelschreiber und schrieb dann weiter.
Wenn du nicht gefasst wirst, kannst du, der Statistik nach, bis zu einhundertfünfzig Kinder missbrauchen. Und wenn du gefasst wirst und alles ans Licht kommt, werden alle, die du missbraucht hast, sich aufs Gemeinste verraten fühlen, weil sie glaubten, sie seien die Einzigen und etwas ganz Besonderes. Und dann erkennen sie die ganze Katastrophe, dann brechen sie zusammen. Und du hast nicht nur ihre Sexualität zerstört, sondern ihre gesamte Zukunft, und alles, was passiert ist, wird sie bis ins Grab verfolgen.
Er zuckte zusammen, als Skarre verblüfft ausrief.
»Was ist los?«
»Ingemar Brenner«, sagte Skarre, »der Liebhaber von Tulla Åsalid. Ich habe nur so aus Jux diesen Namen eingegeben und habe ihn in unserem Bezirk nur einmal gefunden. Er wohnt in Moløkka und wurde vierundsechzig geboren. Das kann doch stimmen, oder? Dass er Anfang vierzig ist?«
»Ja«, sagte Sejer. »Das kann stimmen. Wieso?«
»Er ist zweimal verurteilt worden. Wegen Betrugs.«
»Was?«
Sejer lief zu ihm.
»Beide Male wurde er von Verflossenen angezeigt«, sagte Skarre. »Er hatte ihnen ihre Ersparnisse abgeluchst.«
»Hohe Summen?«
Skarre schaute auf den Bildschirm.
»Einmal hundertzwanzigtausend im Jahre sechsundneunzig, dann neunundneunzig zweihundertzehntausend. Beide Strafen hat er abgesessen.«
»Und wo?«
»Im Bezirksgefängnis Sem.«
Skarre schüttelte den Kopf.
»Er sitzt jetzt in Huseby und tröstet sie. Während er es in Wirklichkeit vielleicht nur auf ihr Geld abgesehen hat. Wenn sie welches hat. Sollten wir etwas unternehmen?«
»Ja«, sagte Sejer. »Sicher, aber nicht heute Abend. Vielleicht hat er es ihr ja gestanden, vielleicht wandelt er jetzt auf dem Pfad der Tugend.«
»Nie im Leben«, sagte Skarre.
»Wir versuchen noch mal, die Leute anzurufen«, sagte Sejer. »Versuch es mal bei Mathilde Nohr.«
Skarre wählte die Nummer. Nach vier Klingeltönen meldete sie sich.
»Polizei?«, fragte sie überrascht. »Ach. Stimmt irgendwas nicht?«
»Sie haben einen Sohn namens Sverre?«
»Ja, das ist richtig.«
Er hörte, wie sie atmete.
»Ist Sverre gerade in der Nähe?«
»Allerdings. Wir sind bei meiner Mutter, er sitzt vor dem Fernseher. Was ist denn los?«
»Können Sie ihn fragen, ob er heute mit Edwin Åsalid zusammen war?«
»Mit Edwin? Ja, natürlich. Warten Sie einen Moment, er ist in einem anderen Zimmer.«
Skarre hörte ihre Stimme, jetzt aus einiger Entfernung. Einige Fragen und einige Antworten. Dann war sie wieder da.
»Er war mit Isak und Edwin zusammen«, sagte sie. »Sie waren unten am Fjord. Am Knabenstrand.«
»Sind sie zusammen nach Hause gegangen?«
Plötzlich begriff sie den Zusammenhang. Dass hier die Polizei anrief und sich nach Edwin erkundigte. Und die Geschehnisse im Linde-Wald trafen sie mit voller Wucht.
»Herrgott«, flüsterte sie. »Er ist doch nicht verschwunden?«
Wieder sprach sie leise mit ihrem Sohn, Skarre konnte Bruchstücke verstehen, Polizei, hörte er, Edwin.
»Da hat offenbar jemand auf ihn gewartet«, sagte sie. »In einem weißen Auto.«
22
11. September.
»Habt ihr einen Brief von der Schule bekommen?«, fragte Sejer.
Einen Brief? Sverre und Isak tauschten einen Blick, sie standen nebeneinander in der Tür. Doch, den Brief hatten sie bekommen. Sie hatten ihn zusammen mit den Erwachsenen gelesen und ernst über seine Bedeutung gesprochen. Aber darin ging es doch um ein Auto, das bei der Schule wartete, nicht um das hier, das zum Bonnafjord heruntergefahren war.
»Was glaubt ihr denn, wer das war?«, fragte Sejer. »Wer hat Edwin abgeholt?«
»Ein Onkel vielleicht?«,
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