Wer anders liebt (German Edition)
ohne dass die Polizei ihn aufgespürt hatte. Er hatte Angst vor dem sogenannten Aufklärungsquotienten, er wusste, dass sie alle ihre Kräfte aufwandten, um ihn zu finden, dass andere Kriminelle ungeschoren davonkamen, weil er die höchste Priorität hatte. Eine Befragung an allen Häusern war angekündigt worden, und sein Gehirn mühte sich ab, um einen Plan zu ersinnen. Aber wo er doch nicht vorbestraft war, konnte ihm doch nichts passieren, oder? Denn um ihn zur Vernehmung holen zu dürfen, brauchten sie einen konkreten Verdacht, mehr als nur die Tatsache, dass er sich im fraglichen Bezirk aufgehalten hatte. Er sprang auf und ging hin und her, ruhelos und zugleich energisch, der Teufel hole die Leute, dachte er, während seine Wangen vor Erbitterung brannten, der Teufel hole alle, die nicht verstehen.
Beim Gedanken an das, was passiert war, pochte und schmerzte es zwischen seinen Beinen, einige Male spürte er die Stöße bis hinauf in die Zunge. In seiner Verzweiflung bereitete er seine Verteidigungsrede vor, dass das Kind sich angeboten und verführerisch gelächelt habe. Und er war doch ein guter Mensch, wollte das jedenfalls sein, und hatte diese Lust nicht etwas überaus Verwirrendes? Er dachte an damals, als seine Mutter ihn überrascht hatte, als er im Bett saß, ohne Hose, und sich selbst liebkoste, fast zerstreut. Aber in der offenen Tür war etwas Unerklärliches geschehen. Die Mutter war in hysterische Wut ausgebrochen, ihre Stimme war total entstellt gewesen. Was treibst du denn da, was um alles in der Welt machst du da? Hast du denn überhaupt keinen Anstand, bist du nicht ganz richtig im Kopf?
Er versuchte, seine Tat in einen Zusammenhang zu ihrer Reaktion zu bringen, aber das gelang ihm nicht. Stattdessen lebte er mit seiner Lust, und wenn seine Hände in seine Hose wollten, fingen seine Wangen an zu glühen. Jeder Tag mit der Mutter war, wie durch einen Fleischwolf gedreht zu werden, er kam in dünnen Streifen wieder heraus. Als sie endlich alt wurde, durfte sie nicht sterben, mehrere Monate lang wand sie sich vor Schmerzen. Er saß geduldig am Bett und wartete, er wollte den Moment, in dem sie starb, nicht verpassen. Sie jammerte und schrie, sie röchelte und gurgelte, Wochen und Monate vergingen und jede Stunde war erfüllt von Schmerzen. Ihm machte es nichts aus, das zu sehen, er verspürte weder Freude noch Erleichterung, nur Faszination. Am Ende leerte sie ihre Lunge in einem letzten Schrei.
Jetzt reicht es!
Danach sprach sie nie wieder. Ihr Kinn klappte nach unten und ihre Augen starrten etwas an, das jenseits des Lebens lag. Er fand sein Schicksal schwer zu ertragen. Andere durften lieben und ihrer Lust folgen, er selbst war verdammt zum Zölibat, zu den Phantasien, die ihn erschöpften und quälten. Vermutlich würde er für das, was passiert war, in der Hölle schmoren, er würde auch im Gefängnis brennen, niemand würde ihn noch anfassen oder mit ihm sprechen. Dann dachte er an Selbstmord, dachte mit brennenden Augen daran, ob es vielleicht besser wäre, gleich ein Ende zu machen. Er könnte nachts zum Bonnafjord gehen, hinaus auf die Landzunge und sich dort vornüber fallen lassen. Was für ein Leben lag denn vor ihm, was außer Verachtung und Verurteilung? Kein Geld und kein Respekt von irgendjemandem? Er war ja nichts fürs Auge, bei den Frauen von heute hatte er keine Chance, was die verlangten, kannte doch keine Grenzen. Und was war er sonst? Ein alternder, hinkender Mann mit hässlichen Zähnen, ein Frührentner. Besonders umgänglich war er auch nicht, das soziale Spiel war zu schwierig, er beherrschte es nicht. Wieder ließ er sich auf das Sofa sinken, da blieb er sitzen und starrte den alten Rollstuhl in seiner Ecke an. Der stammte noch von der Mutter, und er hätte ihn längst zurückbringen sollen, aber dazu war er nie gekommen. Immer hatte der Rollstuhl in seinem Wohnzimmer gestanden und war zu einem Teil des spärlichen Inventars geworden, jetzt stand er auf und ging hinüber, setzte sich vorsichtig hinein. Umfasste die Räder, spürte das weiche Gummi unter den Händen. Etwas daran, in diesem Rollstuhl zu sitzen, gab ihm das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. Er war schließlich behindert, er schaffte nicht, was die anderen schafften. Er rollte leicht und lautlos über den Boden. Ihm fehlte nur eine Decke über den Knien, um die Illusion vollkommen zu machen. Aus den Augenwinkeln sah er die Zeitungen auf dem Couchtisch, die fetten Schlagzeilen.
Jetzt, wo Edwin
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