Wer anders liebt (German Edition)
meinte Sverre.
»Hat Edwin einen Onkel?«
Der Junge wurde unsicher und zuckte mit den Schultern.
»Hattet ihr den Eindruck, dass sie sich kennen?«
»Sie haben durch das offene Fenster miteinander geredet«, sagte Sverre.
Die Mutter, Mathilde Nohr, zog ihren Jungen an den Nackenhaaren.
»Jetzt musst du dich zusammenreißen«, mahnte sie. »Das hier ist sehr wichtig.«
Er nickte. Er wand sich trotzig aus ihrem Griff.
Sejer und Skarre fuhren mit den Jungen zum Bonnafjord.
»Warum heißt es da Knabenstrand?«, fragte Sejer.
Sverre machte ein altkluges Gesicht.
»Weil die früher nicht mit den Mädchen zusammen baden durften«, sagte er, »ich meine, in alten Zeiten.«
»Gibt es denn auch einen Mädchenstrand?«
»Sicher. Hinter dem Svartåsen, und der ist viel kleiner, aber er hat einen besseren Boden und man kann fast bis Majaholmen waten.«
»Was habt ihr am Strand gemacht?«, fragte Sejer.
»Wir haben auf dem Steg gesessen.«
»Habt ihr jemanden gesehen?«
»Einen Mann, der mit vier Hunden unterwegs war«, sagte Sverre.
»Habt ihr den gekannt?«
»Wir kennen ihn nicht«, sagte Isak. »Aber alle wissen, wer er ist, er ist immer mit den Hunden unterwegs. Er heißt Naper.«
»Erzählt mir ein bisschen von Edwin«, bat Sejer.
»Der sagt nicht sehr viel«, sagte Isak. »Es macht ihm Probleme genug, voranzukommen, und er keucht immer schrecklich, vor allem, wenn es bergauf geht.«
»Er keucht auch auf ebenem Boden«, sagte Sverre, »er keucht, wenn er eine Treppe nur sieht.«
»Was habt ihr auf dem Steg gemacht?«, fragte Sejer.
»Wir haben Gummifrösche gegessen.«
»Gummifrösche. Soso. Schmecken die gut?«
»Die sind sauer«, erklärte Isak »Edwin findet sie toll.«
Sejer betrachtete die Landschaft. Es war ein schöner Strand mit grünen Rasenflächen, einem Steg und einigen Badehütten. Der Seeboden war voller Steine und die Jungen berichteten, dass er weiter draußen steil abfiel, plötzlich gehe es einfach nach unten, bis dreihundert Meter tief.
Sie gingen auf den Steg hinaus, setzten sich und ließen die Beine baumeln. Im Wasser sahen sie ihre wogenden Silhouetten.
»Worüber habt ihr geredet?«, fragte Skarre.
»Über Alex. Das tun wir oft«, sagte Sverre.
»Wer ist Alex?«
»Unser Lehrer, in Solberg. Wir gehen in die fünfte Klasse und haben Alex in fast allen Fächern.«
Sverre schob sich den Pony aus dem Gesicht, er war struppig und kupferrot.
»Mögt ihr ihn?«
Sie wechselten einen Blick.
»Wir mögen ihn«, sagte Isak. »Aber er ist komisch.«
Sejer dachte über diese Antwort nach.
»Wieso denn komisch?«
»Er wohnt mit einem Mann zusammen«, sagte Isak, »er ist nämlich homo. Die sind beide homo. Alex und Johannes sind im selben Haus. Und im selben Bett.«
Sie starrten ins trübe Wasser. Das Gesprächsthema war ihnen peinlich.
»Wie war Edwin gestern«, fragte Skarre, »war er so wie immer?«
»Ja, sicher«, sagte Isak.
»Und wie lange hat er hier auf dem Steg gesessen?«
»Weiß nicht«, sagte Sverre. »Wir haben nicht auf die Uhr geschaut.«
»Es gibt etwas, über das wir genau Bescheid wissen müssen«, sagte Sejer. »Und zwar das Auto. War der Fahrer jemand, den ihr gekannt habt?«
Beide schüttelten den Kopf.
»Hat er hier unten am Strand angehalten?«
»Nein«, sagte Sverre. »Edwin ist losgegangen. Sie sind sich ungefähr da beim Transformatorhäuschen begegnet.«
Er zeigte darauf.
»Kann es das weiße Auto gewesen sein, das manchmal bei der Schule wartete? Überlegt euch das genau.«
»Vielleicht.«
»Und könnt ihr etwas über die Marke sagen?«, fragte Sejer.
»Nein, es war ein ganz normales Auto.«
»Saß da mehr als nur ein Mann drin?«
»Nein.«
Sejer schaute wieder aufs Wasser hinaus. Links sah er eine schmale Landzunge.
»Angeblich kann Edwin nicht schwimmen«, sagte er.
Isak nickte eifrig.
»Er muss auch nicht«, sagte er. »Er will nicht in der Badehose rumlaufen. Edwin kommt auch nicht zum Sport, er kann nicht Seil springen und kommt nicht über den Bock. Wenn er hinfällt, kommt er fast nicht wieder hoch.«
»Wird er oft ausgelacht?«
Beide schüttelten den Kopf.
»Dann dreht Alex durch. Das dürfen wir nicht.«
*
Sie suchten beim Steg und bei der Landzunge, aber im Bonnafjord war kein Edwin zu finden. Sie suchten an der Müllhalde, die Suchmannschaften wurden von schwarzen, fetten Möwen empfangen, die drohende Schreie ausstießen. Sie ließen ihren Falkenblick über stinkenden Abfall schweifen, sie durchsuchten Gräben,
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