Wer anders liebt (German Edition)
sie durchkämmten Hütten und Scheunen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Skarre.
»Wir lassen uns eine Liste von allen Einwohnern von Huseby geben«, sagte Sejer, »und eine von allen Besitzern weißer Autos. Dann besuchen wir sie und reden mit ihnen.«
»Hier wohnen dreitausend Menschen«, sagte Skarre.
»Das weiß ich.«
»Dreitausend«, wiederholte Skarre, er zog sein Telefon aus der Tasche und tippte darauf herum. »Wenn wir davon ausgehen, dass in jedem Haus drei Personen wohnen und dass alle ein Auto haben, und das haben sie, und viele haben zwei, dann ist die Rede von an die tausend Autos, vielleicht von zwölf-, dreizehnhundert.«
Er tippte weiter.
»Und wenn wir davon ausgehen, und jetzt tippe ich nur, dass jedes zehnte Auto weiß ist, und ich glaube, ich liege da nicht ganz falsch, dann ist die Rede von vielleicht hundertzwanzig Personen in Huseby mit einem weißen Auto.«
»Dann haben wir Einiges zu tun«, sagte Sejer. »Wir müssen alle registrieren, ich will sie im System haben. Frag nach Arbeit und Zivilstand, wie lange sie schon in Huseby wohnen und vergleich sie mit unseren Registern. Und wenn es möglich ist, müssen die Kollegen feststellen, ob jemand hinkt.«
In dieser Nacht lag Sejer wach und starrte zur Decke hoch. Er hatte Angst davor, Fehler zu machen, etwas zu übersehen oder zu vergessen, er hatte Angst davor, zur Ruhe zu kommen, einzuschlafen, denn im Schlaf konnte er nichts ausrichten, und das konnte er nicht ertragen. Er blieb liegen und stellte sich den Mann vor, den er jagte. Ich bin dir auf den Fersen, dachte er, und ich habe Ausdauer. Und wenn es den Rest meines Lebens dauert, ich werde dich finden und dich an die Wand stellen, denn du hast dich nicht nur an Jonas August und Edwin vergriffen, sondern an der gesamten Gesellschaft. Damit musst du fertig werden: Unter den Milliarden von Menschen auf der Welt ist nicht ein einziger, der dir verzeihen wird.
23
Kristine Ris streifte das Nachthemd über den Kopf, der dünne Stoff fühlte sich an ihrem Rücken an wie eine Liebkosung. So hätte Reinhardt sie berühren sollen, aber diese Zeit nahm er sich nie, sie konnte nur davon träumen. Von einem Finger, der vom Nacken bis zum Kreuz über ihr Rückgrat wanderte, bis sie erschauerte. Sie blieb eine Weile nackt im Badezimmer stehen. Es war sieben Uhr morgens, und Reinhardt war bereits angezogen. Sie mischte heißes und kaltes Wasser und ging unter die Dusche, hob den Kopf in den warmen Strom, dabei spielte sie ein Spiel. Sie war bedeckt von einer Schicht aus Sorgen, die jetzt wie Schmutz abgespült wurden und im Ablauf verschwanden. Sie hörte Reinhardt umherwandern, sie hörte das Radio aus dem Wohnzimmer. Sicherheit, dachte sie, deshalb bleibe ich, deshalb halte ich aus. Herrgott, ich bin wie ein Kind. Das, was ich habe, ist nicht das, wovon ich geträumt habe, aber ich weiß von einem Tag zum anderen, was ich habe, ich kann den ganzen Rest des Lebens sehen. Als die Tür plötzlich geöffnet wurde, zuckte sie zusammen. Reinhardt riss den Vorhang zur Seite.
»Was ist los?«, fragte sie überrascht.
Sie bedeckte sich unbeholfen mit der unteren Hälfte des Vorhangs. Reinhardt starrte sie aufgeregt an.
»Er hat sich noch einen Jungen geholt.«
»Wer? Wer hat sich noch einen Jungen geholt?«
»Ja, das wissen wir ja nicht, aber ich tippe auf den Mann aus Linde«, sagte Reinhardt. »Einen Jungen aus Huseby. Die totale Krise.«
»Nein«, sagte sie hilflos. Sie schüttelte verwirrt den Kopf, ihre Haare waren nass, einige Tropfen liefen ihr in die Augen.
»Haben sie das im Radio gesagt?«
»Ja, ich habe es eben gehört. Aber es gab nicht viele Einzelheiten, du weißt doch, anfangs halten sie sich immer bedeckt. Aber der Junge ist zehn Jahre alt und besucht dieselbe Schule wie Jonas August.«
Kristine kam unter der Dusche hervor und griff nach einem Handtuch, sie stand vor ihm und sah ihn mit großen Augen an.
»Aber wo haben sie ihn gefunden? War er angezogen?«
»Nein«, sagte Reinhardt, »sie haben ihn noch nicht gefunden, aber sie suchen.«
»Sie haben ihn nicht gefunden?«
Sie nahm sich ein kleineres Handtuch und wickelte es sich wie einen Turban um den Kopf.
»Aber dann können wir doch nicht wissen, was passiert ist«, sagte sie.
»Sie werden ihn finden«, sagte Reinhardt, »aber erst, wenn es zu spät ist. Kristine! Wir sind die einzigen Zeugen, die Einzigen, die ihn aus der Nähe gesehen haben.«
Kristine zog sich an. Was Reinhardt hier sagte, traf sie zu sehr,
Weitere Kostenlose Bücher