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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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unangenehm und nahm ihr das letzte bisschen Mut. Aber ich werde eine gute Mutter, dachte sie, und viele Leute sind allein mit ihren Kindern, das geht doch gut. Ich kann es schaffen, ich bin stark, wenn es sein muss, ich will diese Liebe erleben, die andere auch haben, die allergrößte, die bis zum Tod besteht. Ich will sie jetzt. Wieder schielte sie zu Reinhardt hinüber. Er war so zufrieden damit, er selbst zu sein, zufrieden mit dem, was er hatte, dem Haus, der Arbeit und dem Auto. Ich werde älter, dachte sie dann, ich habe nicht mehr viel Zeit. Sie dachte mit bohrendem Kummer an diese Dinge. Langsam begann sie mit dem Gedanken zu spielen, dass sie etwas Verantwortungsloses tun könnte, sie könnte ihn ganz einfach hinters Licht führen. Zugreifen und sich das holen, was sie wollte. Die Männer reden von der List der Frauen, dachte sie, und die werde ich jetzt anwenden. Bei diesem Gedanken schlug ihr Herz schneller, und sie hatte Angst, ihr Blick könne ihre wirklichen Gedanken verraten. Deshalb lehnte sie den Kopf gegen die Nackenstütze und schloss die Augen.

29
     
    Er hatte Hunger, konnte aber nichts essen.
    Es gab auch nicht viel zu essen, der Kühlschrank war leer. Immer wieder öffnete er die Tür und schaute hinein und suchte in sich nach Tatkraft. Er hatte keine. Nach ein paar Tagen stellte er fest, dass gerade der Hunger beschützend wirkte, es war, wie sich einzukapseln und für den Rest der Welt unsichtbar zu werden. Dieses Gefühl dämpfte seine Angst ein wenig, denn Angst hatte er. Er hatte einen Stuhl ans Fenster gezogen und dort saß er, die Ellbogen auf die Fensterbank gestützt, und starrte hinaus, oder er saß vor dem Fernseher und sah sich alle Nachrichtensendungen an, die Bilder des Jungen leuchteten ihm entgegen. Experten aller Art durften sich zu den Geschehnissen äußern, keine ihrer Theorien traf zu. Immer häufiger saß er im Rollstuhl, es machte ihm eine ganz eigene Freude, damit herumzufahren. Er rollte in die Küche, um Wasser zu holen, er rollte wieder ins Wohnzimmer und hielt vor dem Fernseher. Im Rollstuhl wurde er zu einem anderen, dann war er ein Greis mit verdorrten Gliedern, ein armes Wesen, dem man keinerlei Schuld zuweisen konnte. Es war eine Erleichterung, von sich selbst befreit zu sein. Er ging jetzt früh ins Bett, das machte die Tage kürzer. Einige Male führte er in Gedanken lange Gespräche mit der Polizei.
    Aber hört mir doch zu, ich kann das erklären!  
    Am späten Abend versank er in Selbstmitleid, dann vergoss er bittere Tränen. Wenn es zu schwer wurde, und das kam vor, dann streckte er sich auf dem Sofa aus und zog eine Decke über sich, während er gegen den Sofarücken schluchzte. Ich habe wirklich kein tolles Leben, dachte er, ich bin ein Gefangener in meinem eigenen Haus. Genauso gut könnte ich im Gefängnis sitzen, da würde ich warme Mahlzeiten bekommen und könnte ab und zu mit den Wärtern ein Wort wechseln. Er leckte seine Tränen auf, der salzige Geschmack weckte schmerzliche Erinnerungen. So lag er allein in der Dunkelheit, war aber die ganze Zeit angespannt, wie eine Feder. Er wusste, dass sie kommen würden, und wenn er nicht öffnete, dann würden sie die Tür einschlagen.
    30
     
    Wieder und wieder stellten sie sich dieselben Fragen:
    Warum finden wir Edwin nicht? Ist das ein gutes Zeichen, kann es bedeuten, dass er noch lebt? Und wenn wir es mit ein und demselben Täter zu tun haben, warum hat er Edwin Åsalid so sorgfältig versteckt, während Jonas August einfach im Wald abgelegt wurde? Könnten zwei Pädophile innerhalb einer Woche am selben Ort zuschlagen? Dann versuchten sie, in andere Richtungen zu denken, sie ließen wirklich keine Möglichkeit aus. Handelte es sich um einen Kinderselbstmord, hatte Edwin schlimmere Probleme gehabt, als den Erwachsenen bewusst gewesen war? Und wenn es hier nicht um Pädophilie ging, was konnte dann das Motiv für dieses Verbrechen sein, von dem sie bisher nur die Konturen ahnten?
    Ein Mann rief auf der Wache an, er sagte, in Huseby seien Gerüchte aufgekommen, und es sei vielleicht angebracht, etwas dagegen zu unternehmen.
    »Joakim Naper«, sagte Sejer, »dann wollen wir mal hinfahren und mit ihm reden!«
    »Naper?«, fragte Skarre. »Der mit den Hunden? Den haben wir doch schon vernommen.«
    »Das weiß ich«, sagte Sejer. »Aber er hat etwas gehört. Wir müssen uns an das halten, was wir bekommen können.«
    Die Türklingel löste bedrohliches Knurren aus, und sie hörten das Kratzen von Krallen

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