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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gesagt, dass die Kinder abends nicht einschlafen können. Es ist so seltsam, dass das hier passiert«, sagte er, »in Huseby.«
    »Sie sind doch auch ein Teil der Welt«, sagte Skarre.
    »Wie löst Edwin sein Problem so rein verhaltensmäßig?«, fragte Sejer.
    »Ich verstehe nicht so ganz, was Sie meinen«, sagte Meyer.
    »Ihm bleibt doch sehr viel vorenthalten. Bewegung und Training, gute Noten, er kann nur teilweise am Leben teilnehmen. Hat er trotzdem eine Möglichkeit gefunden, sich einzubringen?«
    »Naja«, sagte Meyer. »In den Pausen kommt er zu uns Erwachsenen. Dann sagt er etwas Nettes und ist so liebenswürdig, wie er nur kann, damit wir ihn mögen, und das tun wir. Niemand schafft es, Edwin Åsalid mit den braunen Locken abzuweisen. In dieser Hinsicht kann ich gut verstehen, dass ein Mann von der falschen Sorte in Versuchung gerät.«
    27
     
    Die Trauerfeier für Jonas August Løwe fand in der Kirche von Huseby statt, und die Leute strömten nur so zusammen. Was wird der Pastor sagen, überlegten sie, als sie sich auf den harten Bänken niederließen, wird er in einem solchen Moment wirklich Worte finden? Sie zweifelten am Können des Pastors und daran, ob er sie wirklich trösten würde, obwohl sie ja gerade deshalb gekommen waren.
    Sejer und Skarre beobachteten die Menschen, die die Kirche betraten. Elfrid Løwe saß in der ersten Reihe, sie trug ein dunkelblaues Kostüm, und ihre blazerähnliche Jacke machte, dass sie einem schmächtig gebauten Knaben ähnelte. Der Pastor war an den Altar getreten, er kehrte der Gemeinde den Rücken zu, jetzt berät er sich mit Gott, dachte Skarre, ob er wohl irgendeine Erklärung bekommt? Sejer registrierte ein Ehepaar von Mitte sechzig, das neben Elfrid saß, vermutlich ihre Eltern. Dass die Mutter an Parkinson litt, war nicht zu übersehen, sie zitterte unkontrolliert. Jonas Augusts Klasse saß weiter hinten, alle hatten sich feingemacht. Anders als die Erwachsenen, die alle irgendeinen Punkt auf dem Boden anstarrten, ließen die Kinder ihre Blicke mit unverhohlener Neugier durch den Kirchenraum schweifen, vor allem der Sarg fesselte ihr Interesse. Der war seltsam klein und unter den vielen Blumen kaum zu sehen. Die Kirche war erfüllt von Trauer, aber da war noch mehr, eine Art kollektive Angst. Nun brauste die Orgel los. Ich bin nicht gläubig, rief Sejer sich in Erinnerung, warum liebe ich diese Stimmung also so sehr? Die Orgel, die gewölbte Decke mit den Engeln? Die bunten Fenster, die das Licht so schön über die Bankreihen sickern lassen? Ich finde Frieden und Ruhe, ich finde Trost. Als sorge die Abwesenheit eines Gottes doch für eine Sehnsucht, die ich nur spüre, wenn sie endlich gelindert wird. Verstohlen schaute er zu Skarre hinüber, der neben ihm saß, auch der schien mit allerlei Gedanken zu ringen. Was ist schwerer, überlegte Sejer, das gesamte Dasein auf dem Göttlichen zu gründen, um dann in einigen schwarzen Augenblicken zu zweifeln, oder sich mit der Schönheit im vergänglichen Irdischen zu begnügen? Zurück zur Erde, zur fetten, nährstoffreichen Scholle. Er war durchaus kein Atheist, aber er hatte nie einen Gott erahnt, weder um sich herum noch in seinem eigenen Inneren, er spürte keine geistige Kraft. Für ihn waren Natur und Mensch fassbar und verständlich mit ihren vielen Gesetzmäßigkeiten. Lag Schönheit nicht gerade in der Vergänglichkeit? Einige beseelte Momente hatte er natürlich gehabt, Augenblicke, die ihn erhoben hatten, grenzüberschreitende Sekunden, in denen er plötzlich etwas Größeres gespürt hatte, wie dann, wenn ein Vorhang zerreißt und das Licht durchlässt. Wie bei der Geburt seiner Tochter Ingrid. Er schaute das Heft an, das der Küster ihm in die Hand gedrückt hatte, auf die Vorderseite war ein Foto von Jonas August gedruckt, der sorglos und mit großen Vorderzähnen lächelte. Dann hob Sejer den Kopf und musterte Elfrid Løwe, die kurzen Haare, den dünnen Nacken. Seit ihr Sohn tot aufgefunden worden war, hatte sie sich so vielen Dingen stellen müssen. Schock und Lähmung, Angst und Trauer, Identifizierung. Ja, es ist Jonas. Das ist mein Jonas. Die Entscheidung für ein Bestattungsunternehmen, die Entscheidung für Blumen und Musik, und in welchen Kleidern sollte Jonas begraben werden, vielleicht im Schlafanzug, oder vielleicht in einem weißen Hemd. Sie hatte mit dem Pastor gesprochen, sie hatte versucht, ihre Gefühle in Worte zu kleiden. Sie hatte eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, sie hatte ihre

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