Wer anders liebt (German Edition)
strahlten eine Ruhe aus, die sie nicht hatten. Sie warteten. Sie betrachteten die Menschen, die kamen und gingen, und sie musterten die draußen fallenden Schneeflocken. Gedämpfte Geräusche schwebten durch das Lokal, das Klirren von Gläsern und Besteck, leise Stimmen. Es duftete nach Kaffee. Skarre faltete eine Serviette zusammen, Sejer spielte an seinem Telefon herum, niemand hatte angerufen, keine Mitteilungen. Sie warteten. Ab und zu begegneten ihre Blicke sich über dem Tisch, dann glitten sie wieder auseinander und wandten sich dem Fenster zu, dem fallenden Schnee. Irgendwann konnten sie ihre Neugier nicht mehr beherrschen, sie gingen zurück ins Büro, ließen sich jeder in einem Sessel nieder, versanken in ihren Gedanken. Es wurde nichts mehr gesagt. In dieser geladenen Stille fing das Faxgerät endlich an zu brummen, und die Männer fuhren hoch und stürzten durch den Raum. Sejer riss das Blatt an sich, trat einen Schritt zurück, sein Blick jagte über die wenigen Zeilen. Dann ließ er seine Hand sinken.
»Was haben wir?«, fragte Skarre.
»Eine Übereinstimmung«, sagte Sejer, »einen sicheren, unwiderlegbaren Beweis.«
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Brein öffnete die Tür, er stand auf eigenen Beinen, aber als sie ihren Spruch aufsagten, sackte er gegen den Türrahmen.
»Nein«, rief er, »jetzt müssen Sie aber aufhören!«
Sie gaben ihm einige Minuten für praktische Dinge, er packte seine blutverdünnenden Medikamente ein, die er als lebenswichtig bezeichnete. Er bat, seinen Vater anrufen zu dürfen, diese Bitte wurde abgeschlagen. Er steckte eine Zigarettenpackung in die Tasche und folgte ihnen aus dem Haus, zum Auto, während der Fahrt, die eine halbe Stunde dauerte, sagte er kein Wort. Sejer musterte ihn im Spiegel. Jetzt sieht er aus wie ein kleiner Junge, dachte er, der entführt worden ist. Auf der Wache wurde er in eine Zelle gesteckt, dort saß er vier Stunden lang, er saß auf der Kante der Pritsche und starrte seine Knie an, seine Hände mit den blauen Adern. Mehrmals trat er ans Fenster und schaute hinaus. Die Zelle ging auf einen Hinterhof hinaus, mit einer braunen Baracke und mehreren Streifenwagen, Volvo, wie er sah, und Ford. An der Barackenwand stand eine Reihe von grünen Mülltonnen. Er ging in der Zelle auf und ab, nach wenigen Schritten musste er kehrtmachen. Er dachte an die, die vor ihm hier gesessen hatten, Diebe und Räuber, Mörder, mit denen hatte er nichts gemeinsam. Er setzte sich wieder auf die Pritsche und faltete die Hände. Niemand kam, um nach ihm zu sehen, ob es ihm gut ging, waren sie nicht dazu verpflichtet? Sie hatten ihm etwas zu essen versprochen, aber niemand brachte ihm etwas. Er verspürte das dringende Bedürfnis, sich hinzulegen und die Augen zu schließen, aber dann dachte er, das wäre dasselbe wie aufzugeben, und er wollte nicht aufgeben, er wollte kämpfen. Also blieb er auf dem Pritschenrand sitzen und verzweifelte, er horchte auf die Geräusche von draußen, Verkehr, einzelne Stimmen und Rufe. Ab und zu zuckte er heftig zusammen, und sein Herz galoppierte davon, er nickte ein und fuhr mit einem Ruck wieder hoch. Eine Tasse Kaffee würde jetzt gut tun, dachte er, Menschen, eine Stimme.
Die vier Stunden wurden zu einer stetigen Wanderung zwischen Fenster und Pritsche, die ganze Zeit versuchte er, sich auf das vorzubereiten, was passieren würde. Hört mich an, würde er sagen, ich kann alles erklären, denn es ist nicht so, wie ihr glaubt. Sie wirkten durchaus freundlich und korrekt, und sie hatten doch ihre Vorschriften, an die sie sich halten mussten, aber er wollte nicht naiv sein, er wollte nicht schwach sein, sie sollten ihn nicht fertigmachen können, sollten ihm nichts unterschieben, was nicht stimmte. Für einen Moment war er zutiefst empört über alles, was geschehen war. Er war vom Leben mitgerissen worden, die Versuchung war ihm in den Schoß gefallen und er hatte dem Befehl seiner Lüste gehorcht, es war, wie in einen Fluss zu stürzen und mit der Strömung zu treiben. War er vielleicht kein Mensch? Er spürte, wie Hitze in seinem Körper aufstieg, dann sank er wieder in sich zusammen und jammerte, denn im tiefsten Herzen wusste er es natürlich besser. Sie würden ihm keine Gnade erweisen, sie würden ihn mit ihren Anklagen bombardieren, ihn als etwas Minderwertiges durch den Dreck ziehen. Verzweifelt versuchte er, seinen Zorn festzuhalten, denn darin fühlte er sich sicher, aber der Zorn verflog, und er senkte beschämt den Kopf.
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Wilfred Arent
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