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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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einen steinharten Ball.
    »Wir warten also auf die DNA-Analyse«, sagte er. »Und Brein rollt in glücklicher Ahnungslosigkeit umher. Das ist unerträglich.«
    39
     
    Elfrid Løwe suchte die Wache auf, sie unterhielt sich lange mit Jacob Skarre. Er hörte freundlich und aufmerksam zu, das Kinn in die Hand gestützt.
    »Jonas war so lebhaft und munter«, sagte sie. »Flink wie ein Eichhörnchen, die Treppen hoch und runter wie der Wind. Neugierig, eifrig und positiv. Manchmal sah er mich mit seinen großen, blauen Augen an, voller Hunger nach Liebe. Er brauchte viel Aufmerksamkeit, und ich konnte aus einem unendlichen Vorrat schöpfen, es gab doch nur uns beide. In der Schule war er still und scheu, das hat sein Lehrer mir beim Elternsprechtag immer wieder gesagt. Jonas ist zu passiv, hat er gesagt, es wäre schön, wenn er sich in den Stunden ein wenig besser einbringen könnte. Er litt unter allerlei Allergien. Aber seine Medikamente nahm er selbst, ich fand, dass das gut ging, aber Sie können sich ja vorstellen, dass sein Asthma mir immer Angst gemacht hat. Und er war so klein, vielleicht war das Asthma daran schuld. Du wirst sicher groß und stark, wenn erst ein paar Jahre vergangen sind, sagte ich, so reden wir Mütter eben, wir wollen unsere Kinder nicht enttäuschen, wenn sie Kummer haben, tut uns das ebenfalls weh. Aber er war so lieb, wie ein Kind nur sein kann, wohlerzogen und höflich, wenn ein Erwachsener ihn also um etwas gebeten hätte, ich meine, in ein Auto einzusteigen, denn das ist doch offenbar geschehen, ja, dann wäre er auf seine vertrauensvolle Weise eingestiegen, ich habe ihm ja beigebracht, zu allen freundlich zu sein. Also denke ich, dass alles meine Schuld ist. Dass er noch am Leben wäre, wenn er ein skeptischer und zurückhaltender Junge gewesen wäre. Aber er hat von allen nur Gutes erwartet, und das hat zu seinem Tod geführt, ich kann das nicht anders sehen. Ich fühle mich ununterbrochen schuldig, und diese Schuld muss ich mit ins Grab nehmen. Der Pastor wollte mich besuchen. Ich machte auf, ich wollte ihn ja nicht verletzen, er stand da und wollte mir so gern helfen. Er sagte, dass nur eine einzige Person Schuld auf sich geladen habe, nämlich der Mörder. Er sagte, ich solle voller Glück an Jonas zurückdenken und mich über die Erinnerungen freuen, und das tue ich, denn es sind schöne Erinnerungen, aber es ist schwer. Wenn ich Mütter mit Kindern sehe, könnte ich schreien. Wenn ich noch ein Kind hätte, dann hätte ich ja einen Grund, mich anzustrengen, jetzt sitze ich nur da und starre aus dem Fenster. Meine Hände liegen untätig in meinem Schoß, niemand braucht mich, niemand setzt mir zu. Abends brauche ich nicht schlafen zu gehen, ich muss ja doch morgens nicht aufstehen, nichts treibt mich mehr an.
    Jeden Abend habe ich eine Weile auf seiner Bettkante gesessen. Er hat sich immer unter der Decke zusammengerollt, und seine Augen baten mich um Trost und Ermunterung, denn davon brauchte er viel. Dann haben wir eine Weile über den vergangenen und über den kommenden Tag gesprochen. Ich dachte mir immer etwas Schönes aus, etwas, das ihn dazu bringen konnte, mit einem Lächeln auf den Lippen einzuschlafen. Dass wir uns etwas Leckeres kochen oder abends zusammen einen Film sehen würden, dicht beieinander auf dem Sofa. Alle Kinder sollten sich jeden Tag über etwas freuen, alle Kinder verdienen es, auf Händen getragen zu werden. Das Schlimmste ist, wenn die Gedanken an seinen Tod mich überwältigen und ich anfange, mir die letzte Stunde in seinem Leben vorzustellen. Was er durchmachen musste. Diese Bilder sind so schrecklich, dass sie mir den Atem verschlagen. Ich weiß nicht, ob ich sie in all ihrem Schrecken hervorholen soll, um mit Jonas zusammen zu leiden, oder ob ich sie verdrängen soll, denn der Pastor sagt, dass alles vorbei ist, und dass Jonas nicht mehr leidet, und da hat er ja recht. Ich fand seine Beerdigung schön, die Orgel und die Blumen, und das Gedicht, das die Lehrerin vorgetragen hat. Ich musste es für meine Eltern ins Norwegische übersetzen, die können kein Englisch.
    An jedem einzelnen Tag besuche ich sein Grab. Ich habe eine Ewigkeit gebraucht, um den Stein auszusuchen, mir war keiner gut genug. Der, den ich dann gefunden habe, war viel zu teuer, ich musste ein Darlehen aufnehmen, aber bei der Bank waren sie freundlich, sie haben mir gute Bedingungen angeboten. Schließlich haben alle das von Jonas gehört. Es ist ein herzförmiger Stein, und im

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