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Wer anders liebt (German Edition)

Wer anders liebt (German Edition)

Titel: Wer anders liebt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Brein, »ich hatte ihn einige Male auf der Straße gesehen, einen kleinen Wicht mit dünnen Beinen und zu großer Hose.«
    Er kratzte mit dem Fingernagel in einer Kerbe im Tisch herum und wich beim Reden Sejers forschendem Blick aus.
    »Ich kann nicht abstreiten, dass ich ein wenig durch die Gegend gefahren bin, um Kinder anzusehen«, sagte er dann, »aber hören Sie gut zu. Um sie anzusehen, das war alles. Ich weiß nicht, was Sie glauben, aber jedenfalls irren Sie sich in allen Punkten.«
    »Sie wissen nichts davon, was ich glaube«, sagte Sejer. »Reden Sie weiter.«
    »Ich kann nichts dafür, dass ich kleine Kinder mag«, sagte Brein. »Das war immer schon so. Aber ich habe nicht gewagt, es irgendwem zu erzählen, das verstehen Sie sicher, also habe ich alles verschwiegen, das war ziemlich schwer. Eine ganz schöne Last für einen kleinen Jungen, ich war erst zehn, als ich begriffen habe, was Sache ist. Ich war in einen kleinen Jungen vom Nachbarhof verliebt, der war erst sechs, ich war total außer mir, wenn er in der Nähe war. Ich konnte nicht sitzen und nicht stehen.«
    »Und was haben Sie gemacht?«, fragte Sejer.
    »Ich habe ihn heimlich beobachtet, ich habe geträumt und phantasiert. Wenn es sein muss, finden wir doch Lösungen.«
    »Sie ziehen also Jungen vor?«
    »Ja«, sagte Brein. »Die Jungen. Mir gefallen die kleinen Körper und das schmächtige Skelett. Mir gefällt, dass sie ängstlich und verlegen sind, mir gefällt alles an ihnen, mir gefallen ihr Geruch und ihre Geräusche und ihr Geschmack.«
    Er wurde eifrig, seine Wangen färbten sich.
    »Wie schmecken sie denn?«, fragte Sejer. Sein Gesicht war tiefernst.
    »Ach, was soll ich sagen?« Brein schüttelte den Kopf. »Wie grüne Äpfelchen.«
    Nach diesem Geständnis wurde alles still. Nur das leise Summen der Neonröhre unter der Decke war zu hören.
    »Darf ich hier rauchen?«, fragt Brein hoffnungsvoll.
    »Das dürfen Sie nicht.«
    Auf diese Antwort folgte eine neue Stille, und Sejer wartete. Es würde Zeit brauchen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, aber dagegen hatte er nichts, er wollte ja alles wissen. Er wollte das Verbrechen bis ins kleinste Detail aufzeichnen, er wollte es messen und wiegen, es im Licht drehen und wenden. Sein Herz schlug ruhig, und er fühlte sich sicher, denn in diesem Raum war er der Sieger, hier war er, wie Skarre sagte, der Mann, der einem Stein Wasser entlocken konnte.
    »Gab es in Ihrer Jugend Ereignisse, die schwer für Sie waren?«, fragte er. »Es ist ganz in Ordnung, über diese Dinge zu sprechen.«
    Brein sah ihn resigniert an.
    »Alles war schwer«, sagte er. »Ich wurde ein Teenager und dann fing der Ärger an. Willst du dir keine Freundin suchen, bist du wirklich in kein Mädchen verliebt, jetzt wird es aber Zeit. Sie verstehen, Tanten und Onkel.«
    »Ich verstehe.«
    »Also war ich natürlich einsam«, sagte Brein. »Ich war nie ganz dabei. War viel allein. Außerdem schämte ich mich zutiefst für alles. Sie können nicht im Ernst meinen, dass wir uns zu diesen Dingen bekennen sollen, Sie ahnen doch nicht, wie hart es ist.«
    »Doch«, sagte Sejer. »Das ahne ich.«
    »Was andere für eine Selbstverständlichkeit halten, davon kann ich nur träumen«, sagte Brein.
    »Liebe ist keine Selbstverständlichkeit«, sagte Sejer.
    »Nicht?«
    »Die Welt ist voller Menschen, die das Glück der anderen nur beobachten können.«
    Brein riss die Augen auf. »Sehen Sie sich um. Überall sind Paare, und sie gehen durch die Straßen und kleben aneinander, ich kann sie fast nicht ansehen.«
    »Viele Leute sind einsam«, sagte Sejer, »da sind Sie nicht der Einzige. Aber Sie leben vielleicht mit der Vorstellung, dass alle anderen ihre Wünsche erfüllt bekommen. So ist das nicht. Wie ging es Ihnen als Junge?«
    »Schlecht«, sagte Brein bitter. »Und ich will mich nicht entschuldigen, aber es ist gut, wenn jemand weiß, wie es war. Sie glauben vielleicht, ich wäre verprügelt worden, aber niemand hat je eine Hand gehoben, es war viel schlimmer. Es gab nichts als Kälte und Zurückweisung. Mutter schimpfte immer, es quoll aus ihr heraus wie ein ewiger Strom. Und sie machte schrecklichen Krach, sie knallte mit Türen, sie trampelte durch das Haus, sie hatte einen breiten Hintern wie ein Nashorn. Und sie hatte die Vorstellung, dass man immer die Wahrheit sagen muss, denn sie wollte nicht falsch sein. Deshalb sagte sie immer, was sie dachte. Für sie gab es nur die Wahrheit um jeden Preis, in jeglicher Situation. Die

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