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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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ebenfalls (wie übrigens auch der Vater im Märchen Rumpelstilzchen seine Tochter im Stich lässt).Und schließlich John, Claires Ehemann, der den Freitod vorzieht und seine Familie sich selbst überlässt. Die beiden Frauen aber kümmern sich umeinander und um den Jungen: ein schönes Beispiel für »tend and befriend«. So schreibt denn auch die Süddeutsche Zeitung in einer Rezension des Films: »Wenn der Film von der Liebe handelt, dann von der Liebe dieser Schwestern.«
Die Vertreibung aus dem (Bindungs-)Paradies
    Sich zu kümmern und zu binden liegt also in der weiblichen Natur. Und solange ein Mädchen noch klein ist, hat es keine Probleme damit. Es darf so sein, wie es ist. Es darf sich für andere interessieren, es darf sich um sie kümmern, es darf einfühlsam, nachsichtig und kommunikativ sein. Und meist findet es auch das Umfeld, in dem es sich mit seinen spezifisch weiblichen Eigenschaften wohl fühlt und sich entfalten kann. Doch dann kommt es zu einem Bruch: Das Mädchen wird aus diesem Paradies vertrieben. Der Zeitpunkt dieser Vertreibung ist der Beginn der Pubertät.
    Wenn sie die Kindheit hinter sich lassen und langsam zu einer jungen Frau werden, müssen Mädchen häufig irritiert feststellen: | 148 | Jungs verhalten sich anders als sie es tun, und dieses Verhalten bekommt mehr Anerkennung. Sie können vor einer erschütternden Erkenntnis nicht mehr länger die Augen verschließen: Männliches Verhalten scheint mehr wert zu sein in der Gesellschaft als weibliches.
    »Erschütternd« ist diese Erkenntnis, weil sie den Mädchen die Sicherheit nimmt, dass ihr Denken und Handeln richtig ist. Bislang sind sie davon ausgegangen, doch nun müssen sie immer häufiger feststellen, dass das, was bisher galt, wohl nicht mehr gilt. Die Folgen sind gravierend: Mädchen verlieren ihre psychische Sicherheit und ihre Stabilität. Ihr bisheriges Selbstverständnis gerät ins Wanken. Ihre Identität wird in den Grundfesten erschüttert.
    Entwicklungsstudien belegen mit erschreckender Eindeutigkeit, dass die Pubertät eine Wendemarke im Leben von weiblichen Jugendlichen darstellt. Während im Kindesalter psychische Störungen bei Jungen noch häufiger zu beobachten sind – sie fallen durch Hyperaktivität, Verhaltensstörungen, Sprechstörungen auf –, verändert sich in der Adoleszenz das Geschlechterverhältnis zu Ungunsten der Mädchen. Nun gehen die psychischen Probleme bei den Jungs zurück, Depressionen und Essstörungen dagegen nehmen bei den pubertierenden Mädchen zu. Dieser Wandel ist etwa ab dem 11. und 12. Lebensjahr zu beobachten. Bis dahin können keine Unterschiede im Selbstbewusstsein von Jungen und Mädchen beobachtet werden: Beide Geschlechter sind gleichermaßen zufrieden mit sich und der Welt, sind lebensbejahend und zuversichtlich. Doch je näher die Pubertät rückt, desto größer wird die Kluft zwischen den Geschlechtern.
    Die Pädagogikprofessorin Renate Valtin konnte diese Kluft in einer aktuellen Studie belegen: Die Forscherin analysierte insgesamt 100 Aufsätze, die 10-jährige Schüler und Schülerinnen im Jahr 2010 zum Thema »Warum ich gern ein Junge bin« bezie | 149 | hungsweise »Warum ich gern ein Mädchen bin« geschrieben hatten. Das Ergebnis ist wenig ermutigend: Jungs sind danach gerne männlich, weil sie schneller rennen und weiter springen können als Mädchen. Sie möchten nicht weiblich sein, denn Mädchen müssten immer schön aussehen und seien im Übrigen »zu blöd zum Autofahren«. Zudem redeten sie zu viel, seien zickig und Heulsusen.
    Während die Jungs nur Abschätziges über Mädchen zu schreiben wussten, beneideten die Mädchen das andere Geschlecht. Jungen hätten »mehr Abenteuer im Leben« und müssten später »keine Regeln« einhalten, war in den Aufsätzen der Mädchen zu lesen. Schon die 10-Jährigen merken also, dass das männliche Geschlecht in dieser Gesellschaft einen Vorzug genießt. Eine Erkenntnis, die sich dann im Laufe des Älterwerdens zunehmend verstärkt. Kommen Mädchen in die Pubertät, finden sie sich immer weniger in Ordnung. Sie halten sich für nicht gut genug und meinen damit weniger ihre schulischen Leistungen als ihr Aussehen und ihre Beliebtheit im Freundeskreis. Auch mit ihrem Gesundheitszustand sind Mädchen unzufriedener als Jungs, und sie reagieren auch zunehmend mit körperlichen und psychischen Symptomen auf Stresssituationen. Häufiger als die Jungen klagen sie über Kopfschmerzen, Nervosität, Magenbeschwerden und

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