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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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für Männer, auf den Pol »Autonomie« festgelegt zu sein? Wenn jede Entwicklung innerhalb von Beziehungen stattfindet, wenn das Bedürfnis nach Beziehung und Bindung ein menschliches Bedürfnis ist, dann sind doch nicht nur Mädchen und Frauen von der Betonung der Individualität und Autonomie in unserer Gesellschaft betroffen, sondern auch die Jungen, denen schon sehr früh beigebracht wird, wie wichtig Unabhängigkeit für sie ist.
    Denkt man darüber nach, warum Frauen in und an ihren Beziehungen leiden, warum sie durch die Erfahrungen in ihren Partnerschaften depressiv erkranken, dann muss man sich davor hüten, den Männern allzu schnell den »schwarzen Peter« zuzuschieben. Natürlich sind auch Männer für die Atmosphäre in Beziehungen verantwortlich, aber wenn sie der emotionalen Einsamkeit der Frauen in Beziehungen hilflos gegenüber stehen, hat das häufig wenig mit Ignoranz zu tun. (Von missbrauchenden, gewalttätigen und gefühlskalten Männern soll hier nicht die Rede sein!) Denn auch Männer sind durch mächtige Sozialisationseinflüsse geprägt. Während Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen beim weiblichen Geschlecht von Anfang an die Orientierung auf Beziehungen fördern, wird beim männlichen Geschlecht | 155 | die Autonomie gestärkt. Auch wenn es oberflächlich gesehen so aussieht, dass Männer damit das bessere Los gezogen haben, weil ein autonomes Selbst in dieser Gesellschaft mehr gilt als das »Selbst in Beziehung«, so zahlt auch das männliche Geschlecht einen seelischen Preis.
In der Autonomiefalle gefangen
    Die amerikanischen Psychologen William Betcher und William Pollack erklären die Unterschiede der Geschlechter damit, »dass die primären Bezugspersonen in den ersten Lebensjahren des Kindes Frauen sind. Sollen Mädchen sich selbst als ›weiblich‹ erleben, müssen sie ein enges Verhältnis zur Mutter wahren und verstehen, dass sie und ihre Mutter gleich sind… Von früher Kindheit an werden Frauen dazu erzogen, eine Beziehung aufrechtzuerhalten und sich selbst im Rahmen einer Beziehung zu definieren.« Für Jungen lautet die Entwicklungsaufgabe völlig anders. »Jungen haben nicht die Chance, die Mädchen haben, mit jener Bindung an die Mutter aufzuwachsen, die später leicht in enge Beziehungen zu anderen zu überführen ist. Zu lernen, was es heißt, ein Mann zu sein, heißt daher lernen, keine Frau zu sein.« Jungen müssen, um sich als Mann fühlen zu können, einen »klaren Bruch mit der Mutter vollziehen«.
    Das hat Folgen für die Mutter-Sohn-Beziehung. Unsere Kultur verlangt von Müttern, dass sie sich von ihren Söhnen trennen. Sie müssen ihre Jungs loslassen, damit diese zu einem »richtigen« Mann heranwachsen können. Gelingt einer Mutter die Distanzierung nicht und kann sich ein Sohn nicht von der Mutter lösen, dann wird über ihn gespottet: »Der hängt noch an Mamas Rockzipfel«, »Der kann das Hotel Mama nicht verlassen«, »Der ist ein Mamakind«. Mütter wollen das in der Regel vermeiden und folgen deshalb meist dem Gebot: »Mach deinen Jungen zu | 156 | einem Mann«. Sie suchen ab einem gewissen Alter zu ihren Söhnen weniger zärtliche Nähe als zu ihren Töchtern und gemeinsam mit den Vätern erziehen sie die Söhne auch anders. Sie unterstützen und fördern deren Unabhängigkeitsbestrebungen, verstärken Eigenständigkeit und werten abhängiges Verhalten ab. Bereits im Alter von drei Jahren – zum Beispiel im Kindergarten – sind Jungen konfrontiert mit Superhelden, die ihnen zeigen, dass ein richtiger Mann unabhängig ist, stark und emotional unverletzbar. Schon Dreijährigen ist also klar, dass ein »richtiger« Mann nicht weint, keinen Schutz sucht, nicht ängstlich sein darf, sich nicht unterkriegen lassen darf. Bereits im Kindergarten lernen sie die impliziten Regeln und Normen der Männlichkeit kennen, die da lauten: Aggression und Ärger darf ein Mann zeigen, aber ansonsten sind Gefühle etwas für Schwächlinge und Mädchen.
    Die westliche, männlich orientierte Kultur verlangt von männlichen Kindern und Jugendlichen, das bei allen Menschen vorhandene Bedürfnis nach Bindung niederzukämpfen. Dieser Prozess ist schmerzhaft und gelingt manchmal nur, indem sich ein Junge bewusst von allem Weiblichen distanziert und allem, was »typisch Mädchen« oder »typisch Frau« ist, mit einer gewissen Herabsetzung begegnet. »Der männliche Chauvinismus mag teilweise Ausdruck von übertriebener Identifikation mit dem Vater sein«, schreibt der

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