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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Nuber
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Herausforderungen zu stellen. Wenn das Kohärenzgefühl abhanden kommt oder sich nicht weiterentwickeln kann, dann machen sich Hilflosigkeit und Sinnlosigkeit breit.
    Spüren junge Frauen, dass sie ihr bisheriges Selbst verändern sollen, verursacht das große Verunsicherung und ihr Selbstwertgefühl sinkt. Sie sind nicht mehr einverstanden mit sich selbst, weil sie merken, dass das, was sie anzubieten haben, von der Gesellschaft nicht wirklich Wertschätzung erfährt. So bemühen sie sich, die neuen Erwartungen zu erfüllen und unterdrücken ihre wirklichen Bedürfnisse. Sie versuchen, sich dem Schönheitsideal anzunähern, sie bemühen sich »tough« zu sein, sie strengen sich an, um so zu sein wie die Jungs. Das aber entfremdet die jungen Frauen immer mehr von sich selbst und schneidet sie von ihren Gefühlen ab, denn ihre Schlüsselkompetenz – Beziehungen schaffen und aufrechterhalten –, erleben sie als nicht mehr angemessen.
    Da Ablösung und Autonomie in unserer Gesellschaft höher bewertet werden als Bindung, fällt es Frauen schwer, mit sich selbst identisch zu bleiben. Es ist fast unmöglich für sie, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln, wenn ihre Bindungsbedürfnisse von anderen, ihnen wichtigen Menschen nicht beantwortet oder gar abgewertet werden. Bindungen blockieren, so lernen sie, und so kämpfen sie gegen ihre innersten Bedürfnisse an. Oftmals so erfolgreich, dass sie irgendwann ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr kennen. Weil ihr »Selbst in Beziehung« als unangemessen abgewertet wird, legen sie sich ein »falsches Selbst« zu. Wann immer sich dann ihr »wahres Selbst« meldet, kreiden sie sich das als Schwäche an. Auch deshalb, weil sie die Erfahrung machen, dass dieses »wahre Selbst« von ihren engsten Mitmenschen, vor allem in ihren Partnerschaften, keine Resonanz bekommt. | 153 |
    Die Adoleszenz ist für Mädchen eine gefährliche Zeit. Das Risiko ist groß, dass sie an der Schwelle zum Erwachsenwerden ihre Vitalität und ihre Widerstandskraft gegen Depressionen tauschen und ihr Gefühl für sich selbst verlieren. Denn ab der Pubertät sind sie mit gesellschaftlichen Erwartungen von der idealen Frau konfrontiert: Sie sollen einerseits, bildlich gesprochen, in die Schuhe der Müllerstochter schlüpfen und zum Wohle anderer Stroh zu Gold spinnen. Sie sollen aber auch Superwoman sein, die spielerisch mit allen Anforderungen jonglieren kann, die sich aus Berufstätigkeit, Kindererziehung und Privatleben ergeben. Sie sollen ihre weiblichen Eigenschaften zeigen, einfühlsam, hilfsbereit und fürsorglich sein (davon profitiert die Gesellschaft schließlich), aber gleichzeitig sollen sie Durchsetzungsfähigkeit und Unabhängigkeit an den Tag legen. Um diesen Spagat zu bewältigen, hängen sich viele Mädchen »einen Maulkorb um«, schreiben Lyn Brown und Carol Gilligan. Sie bringen ihr eigentliches Selbst zum Schweigen, sie verlieren ihre Stimme. Ein Indiz dafür ist unter anderem, dass Frauen häufig nicht von sich in der ersten Person sprechen. Sie sagen nicht »Ich denke, ich fühle, ich sehe, ich weiß« – das wäre die Stimme ihres authentischen Selbst –, und sie sagen auch nicht klipp und klar ihre Meinung. Vielmehr sprechen Frauen häufig in einem indirekten, selbstkritischen, unsicheren Stil, stellen ihr Licht unter den Scheffel, entschuldigen sich, wo es nichts zu entschuldigen gibt, beenden ihre Sätze nicht und wagen es nicht, ihren Standpunkt klar zu äußern. Die Auswirkungen dieses Maulkorbes sind fatal. Was früh in der Pubertät beginnt, kann später im Leben einer Frau zur seelischen Belastung werden. Je nachdem, welche Entwicklung eine junge Frau macht, welche Stolpersteine sich ihr noch zusätzlich auf dem Weg ins Erwachsenleben in den Weg legen, können die Erfahrungen der Pubertät eine Weichenstellung für eine depressive Entwicklung bedeuten. | 154 |
Weil ich ein Junge bin
    Auch wenn Jungen das »bevorzugte« Geschlecht sind, auch wenn ihre Eigenschaften von der Gesellschaft höher geschätzt werden als jene der Mädchen, so muss man sich dennoch davor hüten, sie deshalb als das stabilere, glücklichere und gesündere Geschlecht anzusehen. So wie Mädchen mit dem Beginn der Pubertät aus ihrem »Bindungsparadies« vertrieben werden, so erleben auch Jungen eine Art Vertreibung, die allerdings bereits in sehr viel jüngeren Jahren stattfindet.
    Bezogenheit und »in Beziehung sein« sind auch für das männliche Geschlecht von Bedeutung, aber: Was bedeutet es

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