Wer Bist Du, Gott
Unrecht tut, der tut es auch bei den großen.«
Doch die Versuchung, zu glauben, selbst über die göttliche Energie zu verfügen, ist auch ein allgemeines Problem, das unsere Politiker, aber letztlich jeden von uns mal mehr, mal weniger betrifft. Die göttliche Energie soll uns berühren, energetisieren. Sie soll uns nähren, zur Verbindung mit den Göttern beitragen und uns an unsere Gottesebenbildlichkeit, an unser imago dei erinnern. An die Ähnlichkeit, nicht die Gleichheit. »Und führe uns nicht in Versuchung« - diese Bitte aus dem Vaterunser kann daher auch verstanden werden als: »Führe uns nicht in Versuchung, dass wir plötzlich glauben, selbst über die göttliche Energie zu verfügen.«
Wenn die numinose Kraft nicht dort gelassen wird, wo sie hingehört, zu Gott, immer wieder dort festgemacht und von dorther »kontrolliert« wird, wird sie, so Robert Moore, zum Drachen, zu einer gefährlichen, unberechenbaren Kraft, die um sich schlägt und mit ihrem unersättlichen Hunger nach Grandiosität alles auffrisst, was sie kriegen kann. Wie brutal konkret dieses Übel aussehen kann, wird uns in der gegenwärtigen Zeit bewusster als je zuvor, wenn wir anscheinend hilflos miterleben - zuschauen? -, wie wir unsere Mutter Erde zerstören und damit uns selbst.
Nicht erst seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 müsste uns bewusst sein, dass unser Leben in seinem
Kern bedroht ist. Es entwickelt sich um uns herum eine Welt, die unserem menschlichen Wesen entgegenarbeitet. Es braucht nicht viel, bis wir dieser zerstörerischen Welt ganz verfallen sind. Sie hat uns fest im Griff. Es ist die Welt der Computer, des Internet, der Elektronik, des Cyberspace. Es ist die künstliche Welt der Produkte, die die Technik hervorbringt.
ANSELM GRÜN: Meine Erfahrung ist, dass die innere Leere des Menschen so groß ist, dass sie nur von Gott ausgefüllt werden kann. Wenn wir sie mit Geld füllen wollen, wird es ein Fass ohne Boden. Wir brauchen immer mehr und werden immer gieriger. Wenn wir sie mit Grandiosität füllen, dann schaffen wir immer extremere Situationen, um unsere Größe zu beweisen. Dann laufen wir Amok, um im mutwilligen Töten und im eigenen Zusammenbruch endlich beachtet zu werden. Oder wir sprengen uns selbst und andere in die Luft, um wenigstens im letzten Augenblick groß rauszukommen. Oder wir müssen wenigstens in der virtuellen Welt der Computerspiele unsere Grandiosität ausagieren.Wenn Gott unsere Leere nicht ausfüllt, kommen wir nie zur Ruhe.
WUNIBALD MÜLLER: Für mich ist es wichtig, mich immer wieder mit dem Größeren, Gott, zu verknüpfen, ganz bewusst Kontakt zu ihm aufzunehmen, mich vor ihm zu verbeugen, mich ihm zu unterwerfen. Nicht, weil ich mich klein dünke und unbedeutend. Nein! Weil ich im Bewusstsein meiner von Gott mir geschenkten Größe und Einzigartigkeit nie vergessen will, dass Gott größer ist und das gut
so ist. Er ist größer als ich, als die Kirche, als die Gesellschaft, als alles, was jeden Tag auch an Schrecklichem in unserem privaten Leben und in der großen Welt geschieht.
Inmitten dieser Welt verankere ich mich in etwas Größeres, in Gott, indem ich das Taizé-Lied bete: »Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht.« Dann kehrt Stille in mir ein. Ich vertraue darauf, dass Gott, Christus, stärker ist als die Welt der Computer.
Zu Hause ankommen
ANSELM GRÜN: Die virtuelle Welt des Internet entfremdet uns immer mehr. Gott bringt uns heim zu uns. Die deutsche Sprache kennt diese Verbindung von Heimat und Geheimnis. Daheim sein kann man nur dort, wo das Geheimnis wohnt. Das Heim ist für die Germanen der Ort, an dem man liegen kann, an dem man sich wohlfühlt, an dem man zu Hause ist.
Bei uns zu Hause sind wir nur dort, wo das Geheimnis in uns wohnt, wo in uns etwas ist, das größer ist als wir selbst. Wenn wir immer nur auf uns, unsere Gedanken, Gefühle und Lebensmuster stoßen, werden wir uns bald langweilig. Wenn wir jedoch spüren, dass auf dem Grund unserer Seele ein Geheimnis ist, das größer ist als wir selbst, vermögen wir bei uns daheim zu sein.
Karl Rahner hat immer wieder vom unergründlichen Geheimnis Gottes gesprochen. Und er versteht den Menschen als »arme Verwiesenheit auf ein Geheimnis in Fülle«. Gott ist das Geheimnis. Er bleibt unserem menschlichen Zugriff entzogen. Aber wenn wir
Weitere Kostenlose Bücher