Wer bist du, schöne Juno
Lippen.
„Ihr Ring“, flüsterte sie.
Widerstrebend zog er ihn ihr vom Finger und steckte ihn sich auf. Er hob den Blick und schaute ihr tief in die Augen.
„Bis wir uns Wiedersehen.“
Sie lächelte und war sich des Wunsches bewußt, sich an ihn zu lehnen und seine Hand festzuhalten.
Wie er auf den Einfall gekommen war, konnte er später nicht mehr sagen. Aber plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er sich ja als ihr Gatte aus-ge g eben hatte. Und als ihr Gatte hatte er gewisse Rechte. Da er außerdem ein Lebemann war, müßte er verrückt sein, wenn er diese Rechte nicht zu seinem Vorteil ausnutzte.
Er legte der schönen Juno einen Arm um die Taille, zog sie fest an sich und hob mit der freien Hand sacht ihren Kopf an. Dann gab er ihr einen besitzergreifenden Kuß.
Und die Zeit stand still.
Widerstrebend beendete er den Kuß, schaute Juno in die haselnußbraunen Augen und lächelte, zu klug, um etwas zu sagen. Er führte sie zur Kutsche, und der Knecht, der eine reglose Miene machte, sprang zur Erde und hielt die Tür auf. Martin half seiner Göttin in den Wagen und wartete, bis sie es sich bequem gemacht hatte.
Dann hob er ihre Hand an die Lippen und sagte: „Auf Wiedersehen, schöne Juno. Bis zum nächstenmal.“
Sie blinzelte. Die Botschaft, die sein Blick vermittelte, war eindeutig. Dann wurde die Tür zugemacht. Eine Minute später ruckte der Wagen an. Helen widerstand dem Drang, zum Fenster zu rutschen und den Earl so lange anzustarren, bis er außer Sicht war. Dazu bestand keine Notwendigkeit.
„Bis zum nächstenmal“, hatte er gesagt, und Helen zweifelte nicht daran, daß er meinte, was er gesagt hatte.
6. KAPITEL
Drei Wochen später befand Helen sich in ihrem Zimmer, betrachtete den Schrankinhalt und überlegte, was und was nicht für die kommende Vorsaison geeignet sei. Plötzlich steckte Janet, ihre Zofe, den Kopf durch die Tür.
„Sie haben Besuch, Madam.“
Ehe sie sich vom Anblick der Kleider aus Seide und Satin hatte losreißen und sich nach dem Besucher erkundigen können, war die Zofe fort.
„Wie ärgerlich!“
Helen überlegte, wer der Besucher sein könne. Die vertraute Erregung, die seit der Rückkehr nach London stets in ihr schwelte, war stärker geworden. Doch der Earl of Merton konnte nicht der Besucher sein, schon gar nicht um elf Uhr morgens.
Seufzend strich sie das Morgenkleid glatt und setzte sich an den Frisiertisch, um die Frisur in Ordnung zu bringen. Ihre Rückkehr nach London hatte unter ihren Freunden beträchtliches Aufsehen erregt, doch glücklicherweise war ihr Verschwinden, dank der Diskretion der Dienstboten, dem ton verborgen geblieben. Daher hatte die Episode ohne größere Katastrophe ein Ende genommen, obwohl Helen ein entschieden strenges Kreuzverhör durch Lord Fanshawe sowie ein etwas ungemütliches Gespräch mit Ferdie Acheson-Smythe hatte überstehen müssen, der ihr einen Vortrag über die Gefahren gehalten hatte, in die Damen ihres Standes, die skandalöse Geheimnisse für sich behielten, geraten könnten.
Bei allen Erklärungen hatte sie den Namen ihres vermutlichen Entführers verschwiegen, da sie keinen Beweis dafür hatte, daß es sich wirklich um Hedley Swayne handelte, und auch den ihres Retters, des skandalträchtigen Earl of Merton.
Sie hatte großes Glück gehabt. Die Umstände waren günstig für sie gewesen, da ihr selbsternannter Beschützer, der Marquess of Hazelmere, aufgrund der Geburt eines Stammhalters, auf seinem Landsitz in Surrey geweilt hatte. Sie war überzeugt, daß sie, hätte sie sich ihm und seinem scharfen Blick stellen müssen, gezwungen gewesen wäre, die volle Wahrheit zu gestehen. Glücklicherweise hatte das Schicksal ihr das erspart.
Sie war sich, als sie die Treppe hinunterschritt, einer gewissen Vorfreude bewußt, trotz der Gewißheit, daß sie keinesfalls im Kleinen Salon in graue Augen blicken würde. Diese Augen und ihr herzlicher Ausdruck hatten sie in ihrer Vorstellung verfolgt, und die Erinnerung an den Kuß des Earl bewahrte sie sich im Herzen wie ein Juwel, das in ihrer Schmuckschatulle verschlossen war. Wenn er nach ihr forschte, würde er gewiß ihren Namen herausfinden. Und dann würde er Bescheid wissen. Ihre albernen Träume würden nie Wahrheit werden.
Ihr begegnete tatsächlich beim Betreten des Salons ein überraschter Blick, doch aus den smaragdgrünen Augen der Marchioness of Hazelmere.
„Helen!“
Dorothea, so elegant wie immer gekleidet, sprang auf.
Ihr Gesicht strahlte so vor
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