Wer bist du, schöne Juno
Langweiligeres als die Schilderungen der militärischen Erfahrungen eines Soldaten. Martin begriff, was damit gemeint war. Innerhalb von zehn Minuten war die Behauptung der Dame bestätigt. Mitten in einer detaillierten Beschreibung seiner zweiten bedeutenden Schlacht hielt er inne. Abgesehen vom Knistern des Feuers durchbrach kein anderes Geräusch die Stille. Angestrengt lauschte er und hörte den gleichmäßig gehenden Atem der schönen Juno. Sie war eingeschlafen.
Als Martin aufwachte, stellte er fest, daß er, wie erwartet, sich in der Nacht nicht bewegt hatte. Er hatte genau denselben Abstand zu der Stelle gewahrt, wo Juno den Kopf hingelegt hatte. Unglücklicherweise hatte sie sich bewegt. Ein gewaltiges Stück. Irgendwie hatte sie sich ihm in die Arme geschmiegt. Ihr Kopf ruhte bequem auf seiner Brust. Ein nackter Arm lag auf seinem Bauch.
Vorsichtig befreite er sich von ihr, stand auf und war froh, die Wärme des Bettes verlassen zu haben. Rasch zog er sich an und floh nach unten.
Er traf den Wirt im Schankraum an, wo einige männliche Reisende bedient wurden. Andere schliefen noch auf Bänken.
Nachdem er den Wirt begrüßt und sich nach dem Wetter erkundigt hatte, fragte er beiläufig: „Sind unsere Dienstboten schon da?“
„Nein, Mylord“, antwortete der Wirt und schüttelte den Kopf. „Bis heute morgen ist niemand mehr hier eingetroffen.“
Zornig die Stirn furchend, fluchte Martin und sagte dann: „In diesem Fall muß ich eine Ihrer Kutschen mieten. Meine Gattin kann nach London vorausreisen, derweilen ich umkehre und herauszufinden versuche, was aus unseren Bediensteten geworden ist.“
Der Wirt war ganz mitfühlende Beflissenheit. Er versicherte Seiner Lordschaft, daß seine Kutschen in bestem Zustand und Kutscher wie Knecht vertrauenswürdig seien und Ihre Ladyschaft sicher nach London bringen würden.
„Sehr gut“, sagte Martin und warf dem Mann eine Geldbörse zu. „Lassen Sie die Kutsche vorfahren. Ich will, daß meine Gattin gleich nach dem Frühstück aufbricht.“ Nach einem Blick durch den Schankraum und in Erinnerung an das Aufsehen, das sie am vergangenen Abend erregt hatte, fügte er hinzu: „Schicken Sie es uns aufs Zimmer.“
Er ging wieder nach oben, blieb vor der Tür stehen, um innere Kraft zu sammeln, und klopfte dann sacht an. Beim Betreten des Raumes sah er zu seiner Erleichterung, daß Juno, schöner denn je, aufgestanden und bereits angekleidet war.
Sie saß vor dem kleinen Frisiertisch und flocht das Haar wieder zu ei-nem ordentlichen Knoten. Sie drehte sich um, als der Earl hereinkam, und erwiderte sein Lächeln so ruhig wie möglich. Als sie aufgewacht war, hatte sie festgestellt, daß er nicht mehr da war, sie mitten im Bett lag und die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen hatte.
„Guten Morgen.“
„Es ist ein wunderschöner Morgen.“
Martin stellte sich neben den Frisiertisch, lehnte sich gegen die Wand und berichtete der schönen Juno, welche Maßnahmen er getroffen hatte.
„Mit etwas Glück sind Sie kurz nach Mittag zu Haus.“
Ungeachtet der Tatsache, daß sie genau dort sein wollte, war sie sich deutlich eines dumpfen, beklommenen Gefühls bewußt, das sie bei der Mitteilung des Earl, das Abenteuer gehe zu Ende, erfaßt hatte. Plötzlich erschien ihr der Morgen längst nicht mehr so wunderschön.
Das Frühstück wurde gebracht, und nach dem Essen geleitete Martin sie nach unten. Der Tag war so schön, daß Juno den Mantel nicht mehr brauchte. Martin blieb stehen und hielt sie auf den zum Platz führenden Stufen neben sich fest. Die Kutsche, die sie nach London bringen sollte, stand vor ihnen, so sauber und ordentlich, wie der Wirt versprochen hatte. Kutscher und Knecht waren stämmige Männer mit offenen, ehrlichen Gesichtern. In ihrer Gesellschaft würde Juno sicher sein. Martin schaute ihr in die klaren Augen. Ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Lippen.
„Ich habe den beiden da gesagt, daß sie Sie nach London bringen sollen und Sie, sobald sie dort sind, Ihnen mitteilen werden, zu welcher Adresse Sie wollen. Ich habe die Leute bezahlt, so daß Sie sich deswegen keine Sorgen zu machen müssen.“
Helen verschlug es fast den Atem.
„Ich weiß nicht, Sir, wie ich Ihnen danken soll“, sagte sie leise, damit kein Außenstehender sie hörte. „Sie waren mir eine unschätzbare Hilfe.“
„Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite, schöne Juno“, erwiderte Martin mit sich verbreiterndem Lächeln und hob ihre Hand zum Kuß an die
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