Wer bist du, schöne Juno
Glück, daß der Anblick Helen den Atem verschlug.
„Thea! Was in aller Welt machst du hier? Ich dachte, die Umstände hielten dich jetzt monatelang in Hazelmere Hall fest.“
Helen erwiderte die herzliche Umarmung der jungen Frau. Seit Dorothea vor einem Jahr den Marquess of Hazelmere geheiratet hatte, waren sie enge Freundinnen. Helens Verbindung zu ihm datiert bis in ihre Kindheit zurück. Sie war entfernt mit seiner Familie verwandt und hatte viele Sommer mit seiner jüngeren Schwester in Surrey verbracht.
Sie hielt Dorothea auf Armeslänge von sich fort und war sich eines betrüblichen Stichs der Eifersucht bewußt, weil sie nie die Freude erfahren würde, die aus dem Gesicht der Freundin leuchtete. „Wie geht es meinem Patensohn?“ erkundigte sie sich lächelnd.
„Gut“, antwortete Dorothea und erwiderte das Lächeln.
Sie hakte sich bei Helen ein. Gemeinsam schlenderten sie durch die offenen französischen Türen in den kleinen Hof. Eine schmiedeeiserne Bank mit Kissen stand vor einem Blumenbeet an der von der Sonne beschienenen Hauswand.
Während Dorothea sich mit der Freundin setzte, erklärte sie: „Ich habe Darcy im zweiten Stock des Hauses untergebracht. Mytton weiß nicht, wie er reagieren soll. Und Murgatroyd schwankt zwischen seinem Stolz und dem Wunsch zu kündigen.“
Helen grinste. Sie kannte den Butler und den Kammerdiener sehr gut. „Wie hast du Marc dazu klargemacht, es gehe dir gut genug, um nach London zu fahren? Ich war der Meinung, er würde dich mehr oder weniger dazu verdammen, in aller Abgeschiedenheit zu leben, bis euer Sohn zumindest laufen kann.“
„Das war wirklich ganz einfach“, antwortete Dorothea leichthin. „Ich habe meinen Mann lediglich darauf hingewiesen, daß ich, wenn ich wieder so bei gutem Befinden sei, um nachts das Bett mit ihm teilen zu können, erst recht so gut bei Befinden sei, um die Anstrengungen der Saison auf mich zu nehmen.“
Helens perlendes Gelächter erfüllte die Luft.
„Oh, wundervoll!“ sagte sie, sobald sie dazu imstande war. „Ich hätte viel darum gegeben, das Gesicht sehen zu können, das dein Gatte in diesem Moment gemacht hat.“
"Ja“, sagte Dorothea und schaute verschmitzt die Freundin an. „Es war wirklich sehenswert. Doch genug von meinem bestimmenden Gatten! Was habe ich gehört, du sollst verschwunden gewesen sein?“
Mit routinierter Gelassenheit erzählte Helen der Freundin die Geschichte.
Dorothea drängte nicht darauf, auch die Einzelheiten zu erfahren, die Helen offenbar ausließ, sondern bemerkte zum Schluß nur: „Mein Mann hat keine Kenntnis von dieser Sache, und ich sehe keinen Grund, sie ihm zu berichten. Ich bin hergekommen“, fügte sie mit raschem Lächeln hinzu, „um dich am Donnerstag zum Dinner einzuladen. Nur im kleinen Kreis, Familie und Leute, die schon in der Stadt sind. Noch ist es zu früh für etwas Formelles. Davon werden wir genug haben, sobald die Saison angefangen hat. Du kommst doch, nicht wahr?“
„Natürlich“, antwortete Helen und verzog das Gesicht. „Ich warne dich, bis dahin hat dein Mann bestimmt von meiner Eskapade gehört. Du kannst ihm von mir ausrichten, es bestehe nicht der geringste Grund, daß er sich meinetwegen sorgt und daß ich es nicht gern hätte, beim Essen von ihm ausgehorcht zu werden.“
Lachend drückte Dorothea der Freundin die Hand und erwiderte: „Ich werde darauf achten, daß er sich benimmt. Ich muß mich beeilen“, fuhr sie fort und stand auf. „Ich muß noch Cecily abholen.“
Helen geleitete die Freundin zur Haustür.
„Komm früh, wenn du kannst“, sagte Dorothea drängend.
Nach einer herzlichen Umarmung und fröhlich winkend, schritt sie die Stufen hinunter. Der Lakai half ihr in die wartende Kutsche.
Helen schaute dem abfahrenden Wagen nach und kehrte dann lächelnd in ihr Zimmer zurück, um nachzusehen, welches Kleid sich für den Donnerstag eignen würde.
Ohne auf den ihn umgebenden Lärm und das geschäftige Treiben zu achten, schlenderte Martin durch die St. James’s Street. Noch mußte er den wirklichen Namen der schöne Juno herausfinden, eine Unterlassungssünde, die er mit aller gebotenen Eile zu korrigieren die Absicht hatte.
Er war der Dame nach London gefolgt und hatte angenommen, schon am nächsten Tag Erkundigungen über sie einziehen zu können. Das Schicksal hatte ihm indes einen Strich durch die Rechnung gemacht. Auf seinem Landsitz in Leicestershire hatte es Probleme gegeben, die seine Anwesenheit erforderlich
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