Wer bist du, schöne Juno
beißen.“
Und dann zog er sie in die Arme und hielt sie so eng an sich gedrückt, wie sie befürchtet hatte. Sie mischten sich unter die anderen über das Parkett wirbelnden Tänzer.
Ein Fülle von Emotionen, die Helen noch nie erlebt hatte, drohte sie zu überwältigen. Sie bemühte sich, sie zu unterdrücken. Sie konnte und durfte nicht zulassen, daß er damit durchkam, solchen Einfluß auf ihre Sinne zu haben.
„Mylord!“ sagte sie fest und richtete die Augen auf seine.
„Mylady“, erwiderte er.
Sein Ton hatte dem Wort eine Bedeutung gegeben, die weit über die bloße Anrede hinausreichte. Auch sein Blick unterstrich, daß er bei der Antwort etwas anderes im Sinn gehabt haben mußte.
Helen senkte die Lider und fragte, um einen leichten Ton bemüht: „Hat der ton soweit Ihre Billigung gefunden?“
„In den vergangenen Jahren hatte ich wenig, mit dem ich die hiesige Gesellschaft hätte vergleichen können“, antwortete Martin lächelnd.
„Wie das?“
Er furchte die Stirn, überlegte sich genau, was er sagen solle, und erklärte: „Nun, es sind die Frauen, mit denen ich die größten Schwierigkeiten habe.“
„Und was stört Sie im besonderen?“
„Die Tendenz, mir nachzustellen.“ Angesichts des skeptischen Blickes, mit dem Lady Walford ihn anschaute, verteidigte er sich: „Für einen allseits berüchtigten Roue ist es im höchsten Maße enervierend, wenn man ihm nachstellt, statt daß er derjenige ist, der sich auf die Pirsch begibt. Malen Sie sich meine Lage aus, wenn Sie dazu imstande sind.“
„Seltsam“, sagte Helen belustigt. „Ich könnte mir einbilden zu wissen, wie Sie sich fühlen.“ Da die Musik verklungen war, murmelte Helen: „Vielleicht sollte ich zu .. .“
Verwirrt biß sie sich auf die Unterlippe. Du lieber Himmel, sie war keine Debütantin, die an die Seite ihrer Anstandsdame zurückkehren mußte. Woran dachte sie? Auf welche Gedanken brachte sie der Mann an ihrer Seite?
Er schmunzelte und sagte: „Keine Angst, schöne Juno. Ihr guter Ruf ist bei mir in den besten Händen. Was Sie jedoch betrifft. . .“
Der schockierte Blick, den sie Martin zuwarf, ließ ihn erneut schmunzeln. Einige Minuten später überließ er sie Lord Alvanley, schlenderte durch den Raum und wartete auf den Zeitpunkt, um sie zum Dinner zu begleiten.
Die Tänze mit Freunden und Bekannten, die nicht mehr verlangten als höfliche Konversation, gaben Helen die Zeit, um über die Äußerungen des Earl nachzudenken. Nicht um alles in der Welt konnte sie sich vorstellen, was er gemeint haben könne. Sie hätte auf den Gedanken kommen können, er wolle sie zur Mätresse haben, hätte er nicht gewußt, daß sie eine Freundin Lord Hazelmeres war. Sie kannte den seltsamen Ehrenkodex eines Roues jedoch gut genug, um zu wissen, daß der Schutz, den sie durch Lord Hazelmere genoß, nicht von Lord Merton bedroht werden würde. Wenn der Earl jedoch nicht die Absicht hatte, sie zu seiner Mätresse zu machen, dann konnten seine Bemerkungen nur bedeuten, daß er eine Gattin suchte und glaubte, sie selbst sei für ihn geeignet.
Im stillen seufzend, wünschte sie sich, sie möge sich nicht irren. Aber er ging von falschen Voraussetzungen aus, und je eher er den Irrtum begriff, desto besser. Er würde ihr das Herz brechen, wenn er nicht davon abließ, sie so entschlossen zu umwerben. Niemand wußte besser als sie, daß sie, wiewohl ihre Herkunft akzeptabel und ihre Verbindungen untadelig waren, als frühere Gattin eines gesellschaftlich Geächteten zur Gattin des Earl of Merton nicht taugte.
Der Tanz war zu Ende.
Lord Peterborough, den sie schon seit Ewigkeiten kannte, verneigte sich galant.
„Danke, Gerry“, sagte sie lächelnd.
Er lachte und reichte ihr den Arm. Das Souper war angerichtet.
Helen hob die Hand, um sie Gerry auf den Arm zu legen, doch zu ihrer Überraschung hielt jemand sie fest.
„Oh, Gerry, ich muß dir sagen, daß Lady Birchfield nach dir sucht.“
„Verdammt, Martin“, entgegnete Gerry mürrisch. „Lady Birchfield kann suchen, wen sie will. Sie ist so alt, daß sie meine Mutter sein könnte."
„Wirklich? Ich hatte keine Ahnung, daß du so jung bist. Wie gut, daß ich dann hier bin, um Lady Walford zu Tisch zu begleiten. Es würde sich nicht gut machen, wenn man dächte, sie würde sich an Knaben vergreifen!“
Nachdem Martin sowohl Lord Peterborough als auch der schönen Juno die Sprache verschlagen hatte, legte er sich Lady Walfords Hand in die Armbeuge, nickte dem Freund zu
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