Wer bist du, schöne Juno
die über reifere Reize verfügen.“
Falls Helen noch Zweifel daran hatte, was er mit dieser Bemerkung gemeint haben könne, so wurden sie durch den Ausdruck in seinen Augen hinweggefegt. Sie spürte, daß ihr die Röte in die Wangen stieg. Entschlossen, seinen verrückten Absichten Einhalt zu gebieten, ehe sie andere Formen annahmen und ihr Herz zerbrach, richtete sie den Blick auf ihn.
„Sir, Sie können mich nicht heiraten. Mein Gatte war Arthur Walford. Sie müssen ihn gekannt haben. Er hat Selbstmord verübt, nachdem der ton ihn gesellschaftlich geschnitten hat. Er hatte alles verspielt, was er besaß, inklusive meiner Mitgift. In Anbetracht meines Hintergrundes bin ich nicht als Gattin für Sie geeignet.“
Martin warf das nicht aus der Bahn. „Meine Liebe, das war mir alles bekannt“, erwiderte er und schaute sie ernst und doch zärtlich an, während er ihr mit dem Daumen über den Handrücken strich. „Dachten Sie, das würde mir etwas ausmachen?“
Der Raum drehte sich ihr vor den Augen. Sie konnte nicht mehr atmen. „Aber
Martin lächelte breiter. Zuversichtlich veranlaßte er sie, neben ihm herzugehen. „Meine liebe Lady Walford, ich war nie jemand, der im Einklang mit gesellschaftlichen Diktaten stand. Ich war so lange ein Roue und Spieler, wie jeder hier im Raum sich erinnern kann. Ich versichere Ihnen, niemand wird es im mindesten eigenartig finden, daß ausgerechnet ich mich entschlossen habe, eine reifere Frau zu heiraten, statt mich mit einem dieser dümmlichen Backfische zu belasten.“
Ein nervöses Kichern bewies ihm, daß Helen die in seinen Worten enthaltene Wahrheit akzeptiert hatte.
Helen versuchte, den zwischen ihnen üblichen leichten, spielerischen Ton wiederzufinden. Ihr schwirrte der Kopf. Was der Earl vorgeschlagen hatte, war mehr, als sie sich in ihren kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Sie brauchte Zeit, um über die Folgen nachzudenken. Zu ihrer beträchtlichen Erleichterung benahm er sich im weiteren Verlauf des Abends tadellos. Helen machte sich keine Illusionen darüber, wie unerhört er sich hätte verhalten können, wäre ihm der Sinn danach gestanden. Doch nicht einmal der schlimmste Pedant hätte etwas an Lord Mertons Verhalten auszusetzen gefunden, abgesehen von der Tatsache, daß er ihr nicht mehr von der Seite wich.
Nach der Aufregung bei Almack’s hatte Helen damit gerechnet, eine schlaflose Nacht zu verbringen. Statt dessen hatte sie, betäubt vom ungewohnten Glück, den Schlaf der Gerechten geschlafen.
Unangemeldet, doch des Willkommens sicher, hatte Martin sie um elf Uhr zu einer Ausfahrt abgeholt.
Am Nachmittag war sie von einer kleinen Prozession von Besuchern heimgesucht worden, die alle darauf lauerten, zu erfahren, was sie über den Earl of Merton zu sagen haben würde. Dann hatte sie sich zum Dinner in Hatcham House umkleiden lassen und sich dort erneut in den Armen des Earl wiedergefunden, als er mit ihr Walzer tanzte. Bislang hatte sie also noch keine Gelegenheit gehabt, um über das nachzudenken, was er am vergangenen Abend geäußert hatte.
„Martin, Liebling! Wie ungeheuer aufregend, dich wiederzusehen! Nach all diesen Jahren!“
Helen war beim Klang der hochmütigen Stimme leicht zusammengezuckt. Sie rückte einen Schritt näher zu Lord Merton, wo er, wie sie spürte, sie haben wollte, und starrte auf Locken, die viel heller waren als ihre, und in ein Gesicht, das sehr viel älter war als ihres. Aber nicht alt genug, um das einer Mutter zu sein, die für ihre Tochter einen Ehemann suchte. Die Frau schenkte Helen den Hauch eines eisigen Lächelns, ehe sie die großen blauen Augen auf den neuen Earl of Merton richtete.
Der neue Earl of Merton verharrte in verbissenem Schweigen. Unbeirrt fuhr die Dame fort: „Welch große Überraschung, mein Lieber! Du hättest mir die Aufwartung machen sollen. Oh! Natürlich! Das kannst du ja nicht wissen! Ich bin jetzt Lady Rochester.“
Bei der Erwähnung des Namens war bei Helen der Groschen gefallen. Sie bezwang den Drang, den Earl anzuschauen, um zu sehen, was er von Lady Rochesters Verhalten hielt. Lady Rochester war seit Jahren Witwe, und kein Skandal hatte ihren Namen befleckt, doch man tuschelte stets über sie.
„Mein lieber Martin“, sagte sie entschieden verschwörerisch, „ich habe dir so viel zu erzählen. Da wir schon so lange befreundet sind, sollten wir uns, damit wir unsere Geschichten austauschen können, an einen Ort zurückziehen, wo wir ungestört sind. Ich bin sicher, Lady
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