Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
„Sie meinen, man kann nicht vollauf zufrieden sein, wenn man wirklich mit allem zufrieden ist? Das klingt paradox, finden Sie nicht?“
Sie nickte. „Ja, so, wie Sie es formulieren, klingt es paradox. Aber so, wie ich es ausdrücken würde, nicht: Es gibt ganz einfach keine absolute Zufriedenheit.“
„Würden Sie mir denn verraten, was im Moment der wichtigste Wunsch für Sie ist?“ erkundigte sich Konrad. „Ich bin deshalb so neugierig, weil ich denke, dass man an den Wünschen eines Menschen den Menschen selbst erkennt. Und ich möchte gerne mehr von Ihnen wissen.“
Das Lächeln kehrte in ihr Gesicht zurück. „Ich vermute, es ist im Moment ihr wichtigster Wunsch, meinen wichtigsten Wunsch zu wissen, liege ich richtig?“
Diese dunkelblauen Augen glitzerten ihn schelmisch an. Sie hob das Kinn leicht an, eine Geste, die Konrad sehr häufig bei ihr feststellte. Ein Zeichen von Selbstbewusstsein und innerer Stärke.
„Falsch“, sagte er und gab ein leises, sanftes Lachen von sich. „Mein wichtigster Wunsch ist, Ihnen das Gegenteil von Ihrer Ansicht zu beweisen, es gäbe keinen Weg, alles zu bekommen, was man sich wünscht. Und diesen Wunsch werde ich mir erfüllen.“
„Heißt das, Sie wollen meine Wünsche wissen, um sie mir zu erfüllen?“ fragte sie lächelnd. „Sind Sie eine gute Fee?“
„Sehe ich aus wie eine?“ gab Konrad die Frage lachend zurück und Diane stimmte in sein Lachen mit ein.
„Wenn überhaupt, dann bin ich nur so etwas, wie eine Hexe“, sagte Konrad, nachdem sie verstummt war. „Das schöne Antlitz einer guten Fee suchen Sie bei mir umsonst.“
„Eine Hexe?“ wiederholte Diane, noch immer sichtlich amüsiert und kniff angestrengt die Augen zusammen. „Ja, jetzt, wo ich genauer hinsehe, erkenne ich auch die große, schwarze Warze auf Ihrer Nase. Sollte die böse, alte Hexe sich in einen jungen Mann verwandelt haben, um mich zu täuschen?“
Konrad nickte.
„Sie sind auf der richtigen Spur, meine Dame“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Sagen Sie mir Ihren Wunsch und ich werde sehen, was sich mit Hilfe meiner Zauberkraft tun lässt, Sie an Ihr Ziel zu bringen.“
Diane blickte sich kurz nach Anna um und sah ihre Schwester in der Nähe eines theatralisch verkleideten Zauberers stehen, der mit unheilvoll drohender Stimme verkündete, er werde „diesen wilden Feldhasen jetzt in einen Bund Mohrrüben verwandeln“. Beruhigt wandte sie sich wieder Konrad zu, blickte ihn aus weit geöffneten Augen an, schmiegte sich so eng an seine Seite, dass er ihren warmen Körper deutlich spüren konnte, und flüsterte ihm verschwörerisch zu: „Ich möchte fliehen, aus dieser Enge.“
Konrad erwiderte ihren Blick fest und ernst. Diane fuhr fort. „Wissen Sie, ich möchte nicht das Leben einer gelangweilten, adeligen Dame führen. Ich möchte etwas von der Welt sehen. Menschen kennenlernen, die es wirklich lohnt, zu kennen. Mehr über das Leben selbst erfahren. Ich möchte nicht bis zu meiner letzten Stunde hier in Lindheim herumsitzen und mir so wichtige Fragen stellen, wie: Welches Kleid wäre auf dem heutigen Ball angemessen? Was muss ich an meiner Frisur ändern, damit meine Wangenknochen besser hervortreten?
Es gibt ganz andere Fragen, die mir auf dem Herzen brennen. Und ich glaube, dieselben Fragen plagen Sie auch.“
„Dieselben Fragen?“ wiederholte er und forschte in ihren blauen Augen. „Welche Fragen sind das, Diane?“
Diane nahm wieder etwas Abstand von ihm, doch den Blickkontakt unterbrach sie nicht. „Ich habe Sie zuerst für einen ziemlichen Langweiler gehalten“, gab sie offen zu. „Aber man merkt schnell, dass Sie nur den Langweiler spielen, wenn es darum geht, mit ebenso langweiligen Geschäftsleuten ins Gespräch zu kommen.
Ich glaube, Sie sind auf der Suche. Genau wie ich. Sie suchen Ihr eigenes Glück, das weder darin besteht, sich auf dem Gut Ihrer Eltern ein feines Leben zu machen, noch als Textilhändler erfolgreiche Geschäfte abzuschließen. Ihr wahres Ziel kennen Sie, ebenso wie ich, noch nicht.“
Konrad ging auf ihre letzten Worte nicht ein. „Welche Fragen liegen Ihnen auf dem Herzen? Vielleicht führen die Fragen Sie ja auf den Weg, den Sie suchen. Probieren Sie es aus.“
Diane schlug für einen Moment nachdenklich die Augen nieder. Es dauerte einige Zeit, bis sie antwortete. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon die Zuschauermenge um den Zauberer erreicht, der einen kleinen sandfarbenen Hasen am Genick in die Höhe hielt und
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