Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
derart lauter Knall dem seligen Schlaf ihres Mannes nichts anhaben können, denn sein verdutztes Gesicht tauchte nicht in der Tür auf, die zu ihren privaten Räumen führte. Auf ihn war eben niemals Verlass, sie musste immer alles selbst in die Hand nehmen.
Die Ladenglocke klingelte.
Eine Kundin kam herein und bestellte mit einem gut aufgelegten Lächeln ein Roggenbrot. Mathilde war nicht in der Lage, das Lächeln höflich zu erwidern, aber das war ihr in diesem Moment völlig egal. Sie holte mechanisch das verlangte Brot aus dem Regal, ließ es auf dem Weg zur Theke beinah fallen und schlug es in Papier ein.
„Was ist denn los mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?“ fragte die Kundin besorgt. Ihr fröhliches Lächeln erstarb einen Moment lang und machte einem mitfühlenden Ausdruck Platz. Mathilde schüttelte nur den Kopf und versuchte, einigermaßen unbekümmert zu wirken.
„Es ist nichts. Mein Rücken macht mir etwas Ärger, wie immer.“
„Oh, da habe ich ein wunderbares Rezept für Sie“, teilte die Kundin ihr mit und wirkte sogleich wieder fröhlich. „Meine Schwägerin näht Roggenkörner in Stoff ein, die muss man vorsichtig am Ofen erwärmen und sich dann wie ein Kissen in den Rücken legen. Es hat eine wunderbar heilsame Wirkung, glauben Sie mir.“
Mathilde wollte die Kundin so schnell es ging loswerden. Sie kassierte für das Brot und sagte dann eilig: „Auf Wiedersehen“, ohne auf den gut gemeinten Ratschlag einzugehen. Die Frau nahm das Brot und verabschiedete sich.
Als die Kundin fort war, stand Mathilde eine Weile hinter der Theke herum und versuchte, sich selbst Mut zu machen, im oberen Stockwerk nachzusehen, was geschehen war.
Sie brauchte nur einige Stufen hinaufzusteigen, vor der Kammertür des Gesellen stehenzubleiben und laut nachzufragen, ob denn alles in Ordnung war. Mehr brauchte sie doch gar nicht zu tun! Und wenn dann niemand antwortete, dann musste sie eben gehen, und ihren faulen Mann aus dem Schlaf wecken, damit er genauer überprüfte, ob der Geselle Philip noch lebte - oder nicht....
Während Mathilde noch dastand und sich nicht regen konnte, vernahm sie plötzlich Schritte auf der Holztreppe, die ebenso eilig klangen, wie die von Robert Adlam. Sie wandte den Kopf und blickte zu der Tür, die Herr Adlam vor wenigen Minuten noch hinter sich zugezogen hatte. Philip kam aus seiner Stube herunter und betrat den Laden, offensichtlich sehr lebendig, obwohl außergewöhnlich blass und unruhig. Er sah Mathilde überhaupt nicht, hatte nicht einmal die Zeit, in Richtung Theke zu schauen, um zu sehen, ob jemand dort war, wie er es sonst immer tat. In der rechten Hand trug er eine vollgestopfte, abgewetzte Tasche und er steuerte geradewegs auf die Ausgangstür zu, als Mathilde ihn ansprach.
„Geht es Ihnen gut? Was ist denn passiert?“
„Alles in Ordnung!“ rief Philip mit einer hölzernen Stimme zurück, die deutlich anzeigte, dass überhaupt nichts in Ordnung war, und sah sich dabei nicht einmal nach Mathilde um.
„Und was war das für ein Krach?“ fragte die Bäckersfrau noch, doch da war ihr Mieter schon auf die Straße hinausgeschlüpft, und die Ladentür fiel mit dem vertrauten Klingeln hinter ihm zu. Mathilde sah noch durch das Fenster, wie Philip in den Laufschritt verfiel, die Straßenseite wechselte und um die nächste Biegung verschwand. In diesem Moment ahnte sie noch nicht, auf welch schreckliche Weise sie ihn wiedersehen würde.
Die Wahrheit
Diesen Kampf führe ich im Grunde gegen mich selbst.
Ich kann der Vergangenheit und meinen großen Irrtümern nicht den Rücken kehren und so tun, als sei das alles nicht geschehen, auch wenn es mittlerweile schon einige Jahre zurück liegt. Es hat keinen Sinn, vor sich selbst davon zu laufen, denn die eigenen Fehler holen einen doch ständig wieder ein. Also muss ich der Vergangenheit weiterhin die Stirn bieten, einen bösen Geist nach dem anderen vertreiben, in dem stetigen Bewusstsein, dass doch immer wieder neue auftauchen.
Als der Bildhauermeister Rudolph mir von seinem Gesellen Philip erzählte, der eine Verbrennung an der Hand habe, war mir klar, dass ich nun einen von ihnen mit Namen kannte. Sobald es mir die Zeit erlaubte, habe ich den Gesellen in seiner Kammer über der Backstube in Rubenfels aufgesucht.
Er war völlig überrascht von meinem Auftauchen, als ich die Tür aufstieß, ohne vorher anzuklopfen. Dabei wusste er ganz genau, dass ich der Auftraggeber für die Bildhauerarbeit bin, an der er die
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