Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
verbrennen, und auch keine Pistole, um ein Loch in deinen Schädel zu reißen. Wenn du vernünftig bist, kommst du jetzt noch mit heiler Haut davon, aber beim nächsten Mal, wenn ich dich sehe, habe ich eine kleine Überraschung für dich bereit, damit du endlich erfährst, was wahre Schmerzen sind. Also sieh zu, dass du hier verschwindest und lass dich nie wieder blicken.“
Sicher, was meine Fähigkeit betrifft, ohne Waffe Löcher in Menschen zu schießen, habe ich wohl stark übertrieben - so, wie die Dinge heute stehen. Das Verbrennen seiner Hand ist nur über das Medium des sich schnell erhitzenden Metalls der Pistole möglich gewesen. Meine mir eigenen Fähigkeiten reichen nicht dazu aus, größeren Schaden anzurichten. Besonders dann nicht, wenn ich sie mit kühlem Kopf einsetzen will.
„Du hast hier keine Arbeitsstelle mehr“, erklärte ich ihm weiter, mit äußerster Ruhe. „Also pack schnell deine Sachen und geh.“
Philip löste sich von der Wand, straffte die Schultern. Er bäumte sich sichtlich gegen die Angst auf.
„Du bist es, der eine böse Überraschung erleben wird“, sagte er mit bebender, fast überkippender Stimme. Seine Augen waren von einem plötzlichen Flackern erfüllt, das ich nicht zum ersten Mal in meinem Leben sah. Dieser Mann war völlig vergiftet. „Vielleicht glaubst du, mit uns ein leichtes Spiel zu haben. Doch wir sind längst nicht mehr allein.“
Ich drückte zur Antwort sehr langsam den Abzug der Pistole und sah deutlich den kalten Schweiß auf Philips Stirn glänzen. Die Kugel schlug eine Handbreit neben Philips Kopf in die Wand ein. Seine gestrafften Schultern sackten herab und jeder Muskel seines Körpers schien zu erschlaffen. Beinah wäre er vornüber gestürzt, als hätte ich ihn wirklich getroffen.
„Er ist also zurück“, stellt ich fest, sicherte die Pistole wieder und steckte sie in meine Manteltasche.
Philip starrte mit halb gesenktem Kopf auf die weit geöffnete, zweitoberste Schublade der Kommode. Ich konnte ihm seine stumme Frage nicht beantworten. Einer ist eben immer der Verlierer, und einer der Gewinner. Und in diesem Fall hatte ich wohl gewonnen.
Ich drehte mich um und verließ die Kammer.
* * *
Leider muss ich zugeben, dass ich oft ratlos der Frage gegenüberstehe, was denn der Kern der Wahrheit ist. Ich sehe meine eigenen Handlungen, erkenne mit meinen Augen, was ich zu tun imstande bin.
Es wird schwer für mich sein, meine alten Handlungsweisen – und auch Fehler! - in diesen Aufzeichnungen nachzuvollziehen und sie so ehrlich es geht auf das Papier zu bannen Ich werde mich jedoch konsequent den Geistern meiner Vergangenheit, und auch denen der Gegenwart, stellen.
2. Kleine Scharmützel
------- JOHANNES ------
Erstaunlicherweise tauchte Heinz pünktlich zu Arbeitsbeginn früh am Morgen im Stall auf, gerade, als Johannes gemeinsam mit dem Stallburschen die Pferde auf die Koppel bringen wollte. Allerdings machte Heinz keinen sehr ausgeschlafenen Eindruck und sein Gesicht war - falls überhaupt möglich - noch blasser, als am gestrigen Tag.
„Guten Morgen, Heinz. Du kannst gleich mal...“, begann Johannes, doch sein Bruder unterbrach ihn.
„Du, hast du Lukas gesehen?“
Heinz’ Stimme war zittrig, seine Bewegungen unkoordiniert. Johannes konnte nicht genau einordnen, ob diese Symptome dem nun schon seit beinah vierundzwanzig Stunden fehlenden Alkohol zuzuschreiben waren, oder ob noch etwas anderes dahintersteckte.
„Zuletzt gestern, wie ich’s dir schon gesagt habe. Gestern Mittag ist er hier im Stall rumgesprungen und ich habe ihn rausgejagt“, gab Johannes ihm Auskunft und blieb dabei mitten im Stallgang stehen, um Heinz anzusehen, der dort kalkweiß und unsicher auf den Beinen im Eingang stand. Sein Bruder bot schon seit einiger Zeit ein jämmerliches Bild. Er war in den letzten Monaten um Jahre gealtert, tiefe Falten hatten sich in sein Gesicht gegraben. Viele kleine geplatzte Äderchen ließen Heinz’ Augen rot und verquollen aussehen.
„Lukas war die ganze Nacht nicht daheim“, erklärte Heinz und stützte sich stöhnend am Türpfosten ab. „Ich hab’ keine Ahnung, wo er steckt. Auch die ander‘n Jungs und Marie wissen ’s nicht. Wo soll ich bloß noch suchen?“
„Wart ’s doch erst mal ein Weilchen ab“, riet ihm Johannes ruhig. Er wusste genau, wie Kinder waren: immer voll dummer Ideen. Der Junge war vielleicht in den Heuschober gekrochen und dort eingeschlafen. Kinder taten doch ständig das, was ihnen gerade
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