Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
auf der Brust des wehrlosen Kindes entstanden, waren so exakt, als habe er sie ohne jegliche Abweichung direkt aus dem Buch des Priesters entnommen. Jedoch als das Blut zu fließen begann und aus den vielen kleinen Schnittwunden hervorquoll, verschwammen die Umrisse unter roten Pfützen.
Völlig unerwartet stieß der Junge einen schrillen Schrei aus, der beides, Schmerz und Panik, in sich barg. Es war ein Laut, der einem Tier in Todesangst entsprungen zu sein schien.
Konrad glaubte ein Zucken in Roberts Gesicht zu sehen und einen Moment lang zitterte die rechte Hand, die das Messer hielt. Lass es fallen , dachte Konrad. Lass das Messer los und brich zusammen. Ganz egal, welche Macht du in dir trägst, du bist ein verdammter Schwächling!
Robert hielt das Messer fest.
Der Junge keuchte laut und schrie ein zweites Mal so durchdringend, dass es wie ein unmenschlicher Laut erschien. Die riesengroßen, panischen Augen quollen beinah aus ihren Höhlen. Die Zeremonie ging weiter, Roberts Gesicht war wieder zu Stein erstarrt. Zahlreiche Schnittwunden bedeckten bald schon Körper und Bauch des Jungen, sein Oberkörper wurde zu einer einzigen blutigen Lache.
Als der Priester die Hände hob und mit einem neuerlichen Gebet begann, legte Robert das Messer beiseite, um sich an des Priesters Gesang zu beteiligen und dabei ebenfalls die Hände zu erheben. Das Kind starrte mit vor blankem Entsetzen geweiteten Augen zu dem Mann hinauf, der dort über ihm stand und ihm solche Pein bereitete. Der kleine, dünne Körper bebte, während das dunkelrote Blut in schmalen Rinnsalen an seinen Seiten herab lief und auf den Altar tropfte. Robert blickte nicht auf das Kind hinab, während er sich an dem Gebet des Priesters beteiligte. Auch Konrad schloss sich den Gebetformeln an, während die umstehenden Männer in schweigender Andacht ihren Worten folgten.
Konrad wusste genau, dass der Priester den Vorgang der Opferung absichtlich in die Länge ziehen wollte, und auch Robert musste dies bewusst sein: Eine harte Bewährungsprobe für ein schwächlich gewordenes Herz. Der Helfer am Kopfende des Altares streckte die Hände aus und hielt den Kopf des Jungen fest, so, wie es ihm aufgetragen worden war. Robert nahm das Messer wieder zur Hand, nachdem der Gesang verebbt war, und ritzte mit einer schnellen, entschlossenen Bewegung dem Kind das Zeichen der Todesweihe auf die bleiche Stirn.
Ein drittes Mal brüllte der Junge wie ein schwer verwundetes Tier und der Helfer hatte Mühe, seinen Kopf in der bestehenden Position zu halten: Todesangst verleiht eine flüchtige Stärke, die wie ein letztes Aufflackern aller jemals vorhandenen Körperkräfte erscheint. Robert sah von dem Kind auf und blickte dem Priester für einige Sekunden fest in die Augen. Auf Konrad wirkte diese Geste, als wolle er die bitterliche Anklage des Jungen an seinen Meister weitergeben. Doch an Roberts eigenen Händen klebte das Blut dieses qualvoll sterbenden Wesens, nicht an denen des Priesters.
Ein letztes Gebet, in das diesmal die Helfer mit einstimmten, zögerte den Tod des Jungen noch um einige weitere Minuten hinaus. Die Stimmen schwollen zu einem einzigen mächtigen Chor an und Konrad spürte, wie die Kraft des
Rituals wieder einmal seine Seele mit sich fortriss. Immer weiter schien er sich von seinem Körper zu entfernen, schwerelos in der Luft zu treiben. Die Worte der alten Sprache zogen ihn ganz und gar in ihren Bann, sie waren wie vibrierende Luftwesen, die seinen Geist in ihren Händen trugen.
Wie durch einen weißen Schleier beobachtete er, dass Robert schlussendlich die letzten Handgriffe tat, um das Opfer zu vollenden: Mit der scharfen Klinge schlitzte er den rechten Unterarm des Kindes auf, direkt an der Pulsader entlang. Das Blut spritzte wie eine Fontaine darauf hervor und einer der Helfer war sogleich zur Stelle, um den Lebenssaft in einer silbernen Schüssel aufzufangen.
Die durchdringende Stimme des Priesters klang an Konrads Ohr und Roberts Stimme fiel abermals in den lauten Gesang mit ein. Konrad selbst spürte kein einziges Glied seines Körpers mehr und dachte in einem kurzen Moment der Panik, dass er vollkommen die Kontrolle verloren hatte. Er wusste nicht einmal mehr, ob sein Mund sich bewegte und er das letzte Gebet des Opferrituals mit den anderen sprach. Der Kontakt zu seinem Körper war einfach nicht mehr da, seine Arme hingen schlaff an seiner Seite herab und waren zur Nutzlosigkeit verdammt. Seine Beine gaben ihren Dienst auf und knickten
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