Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
selbstbewusst beschlossen, sich der Wahrheit zu stellen. Sich endlich Klarheit darüber zu verschaffen, ob sie wirklich belogen und betrogen worden war. Das Pferd schien ihre Nervosität zu spüren, denn es gab ein unruhiges Schnauben von sich und zog an den Zügeln. Empfindsame Tiere, diese schönen, edlen Füchse. Es galt nun die Hoffnung, dass ihr Züchter gegenüber den Gefühlen anderer Menschen nicht – im Gegensatz zu ihnen – taub war.
Die Leichtfüßigkeit, mit der das Pferd den Hügel erklomm, stand ganz im Gegensatz zu Dianes innerem Zwiespalt. Vor dem schmiedeeisernen Gartenzaun saß sie ab. Sie warf einen langen Blick den Pfad entlang, der zur Haustür führte: Rechts und links des Weges wuchsen verschiedene wilde Frühlingsblumen und sogar auf dem Pfad selbst waren kleine, grüne Inseln und knospende Blüten zu sehen. Das milde Sonnenlicht tauchte alles in einen warmen Glanz, sodass diese kleine Idylle wirkte, als könne sie kein Wässerchen trüben. Diane befestigte die Zügel des Pferdes am Zaun und stieß das Eisentor auf. Sie hob energisch das Kinn und folgte mit festen Schritten den Weg zum Haus.
Die Hälfte des Pfades hatte sie schon hinter sich, als sie eine Frauenstimme erklang, die hinter ihr herrief: „Entschuldigung! – Herr Adlam ist nicht daheim!“
Diane wandte sich um und blickte den Weg zurück, doch sie konnte niemanden entdecken.
„Hier! Links!“ rief die Stimme.
Diane drehte den Kopf nach links. Vor den hohen, alten Bäumen im hinteren Teil des Gartens lag eine mit wildem Wein überwucherte Laube. Aus dem bogenförmigen Tor schaute zwischen Ästen und grünem Laub das Gesicht einer Frau heraus. Die fremde Frau hob grüßend die Hand. Aus dieser Entfernung wirkte sie sehr jung. Jünger, als Diane selbst.
Die Frau kam nun ganz aus der Laube hervor. Sie hatte ihr braunes Haar zu einem einfachen, dicken Zopf gebunden. Und das Kleid, das sie trug, war äußerst schlicht, zeugte nicht von Reichtum. Sie machte einige Schritte auf Diane zu, und man konnte sogleich erkennen, dass sie nicht sonderlich gut zu Fuß war. Die fremde Frau hinkte merklich.
Deshalb beschloss Diane, ihr entgegenzugehen.
Natürlich war sie sich bewusst, dass dies die besagte Bauerstochter war, die ihr laut Gerüchteküche den Rang abgelaufen hatte. Ihr war, als läge ein harter Kieselstein in ihrem Magen, der sie innerlich peinigte. Doch war sie nicht für diese Begegnung hergekommen? Um der Realität ins Auge zu sehen?
Die Frau war höchstens achtzehn und auf eine natürliche, ungekünstelte Art hübsch. Auf ihrer Haut zeigte sich eine gesunde Bräune, doch bei genauerem Hinsehen konnte man die verblassenden Spuren schlimmer Prellungen in ihrem Gesicht erkennen. – Was war dieser
Frau bloß passiert? Sie sah aus, als wäre sie vor nicht allzu langer Zeit von irgendjemandem verprügelt worden!
„Guten Tag. Mein Name ist Katharina“, stellte die Frau sich höflich vor. Ihr offenes Lächeln zeigte keinerlei Misstrauen.
„Diane von Roder“, sagte Diane.
Man sah Katharina deutlich an, dass ihr dieser Name bekannt war. Doch das Lächeln erlosch nicht, und auch die Freundlichkeit verschwand nicht aus ihren Augen. „Fräulein von Roder?“ fragte sie, scheinbar mehr erfreut, als ärgerlich.
Diane nickte bestätigend.
„Oh, was für ein Ärger! – Herr Adlam ist heute Morgen fortgeritten und er hat gesagt, dass er frühestens morgen früh zurückkommt“, erklärte ihr Katharina.
Diane verspürte große Lust, sie ganz unverblümt zu fragen, warum ihr denn ihr Name bekannt sei. Ob Herr Adlam ihr womöglich von den beiden heftigen Aufeinandertreffen erzählt habe, die gar nicht so lange zurück lagen... Doch sie riss sich zusammen. „Morgen früh also erst?“ wiederholte sie stattdessen und stieß einen leisen Seufzer aus. „Und ich hatte gehofft, ihn noch heute sprechen zu können.“
„Tut mir leid“, erwiderte Katharina mit scheinbar ehrlicher Bekümmerung. „Er ist in den letzten beiden Tagen schon außer Haus gewesen, und erst gestern am Spätnachmittag wiedergekommen. Es ist im Moment sehr schwer, ihn ohne Anmeldung zu erreichen.“
Erst jetzt fiel Dianes Blick auf das silberne Kreuz, das die andere Frau als Anhänger an einer Kette trug. Schmerzliche Erinnerungen ließen ihr Herz verkrampfen: Bernhard hatte ein sehr ähnliches Kreuz getragen. Ein Geschenk von Anna zu seinem zehnten Geburtstag. Es fiel schwer, den Blick von dem blinkenden Stück Metall wieder loszureißen, besonders,
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