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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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zufriedenstellen können.“
    Nicht lange darauf waren wir in einem nahegelegenen Teil des Waldes unterwegs. Durch die Baumwipfel drang nur noch ein fahles Dämmerlicht zu uns, der rote Feuerball der Sonne war längst am Horizont versunken.
    Der Priester wies mich an, vorauszugehen. Er selbst hielt sich dicht hinter mir. „Geradeaus“, hörte ich seine Stimme nah an meinem Ohr. „Du hältst dich nicht geradeaus.“
    Immer wieder diese Mahnung! Ich hielt mich geradeaus, daran hegte ich keinen Zweifel. Doch er korrigierte meine Richtung, indem er mir an die rechte Schulter griff und mich ein Stück nach links drehte.
    „Komm nicht vom Weg ab, mein Freund“, meinte er, und die Belustigung in seiner Stimme war kaum zu überhören.
    Etwas gereizt erwiderte ich ihm: „Wenn der Weg geradeaus führt, dann bist du es, der mich ständig davon abbringt“.
    „Du bist nachlässig“, stellte er daraufhin amüsiert fest. „Du bist dir deiner selbst derartig sicher, dass es dir gar nicht einfällt, dass hier etwas nicht stimmen könnte.“
    Ich blieb ruckartig stehen, doch seine Reaktion war so schnell, dass es ihm gelang, zu stoppen, ohne mich zu berühren, obwohl er sich nur wenige Zentimeter hinter meinem Rücken befand.
    „Ich bin sehr froh, dass du deinen Spaß hast“, fuhr ich ihn an, ohne die geringste Motivation, meinen Zorn weiter zu verbergen. „Wenn du so gütig wärst, mir zu erklären, was genau dich so belustigt, dann könnten wir uns vielleicht gemeinsam amüsieren.“
    Er trat einen Schritt von mir zurück. Sein Gesichtsausdruck war noch immer erheitert, ohne jegliche Überraschung über meinen plötzlichen Wutausbruch.
    „Deine Augen und Ohren gaukeln dir vor, du gingest geradeaus“, sagte er. „Doch in Wirklichkeit folgst du dem Bogen eines Kreises. Der Weg, den du gehst, führt direkt wieder zurück an seinen Ausgangspunkt, immer um das Zentrum herum, das du auf diese Weise niemals erreichen wirst. Du orientierst dich an oberflächlichen Eindrücken, obwohl du tiefer blicken könntest. Verzeih mir, aber das empfinde ich nicht eben als schlau. Denn diese Barriere ist für weitaus Geringere gemacht, als für dich.“
    Diese Worte waren weder dazu gedacht noch geeignet, meine Wut zu bremsen. Trotzdem nahm ich mir einige Sekunden Zeit, den weiter aufwallenden Zorn in mir zurückzuhalten. So klang danach auch meine Antwort einigermaßen gelassen, mit einem nur leicht scharfen Unterton. „Du hast es also nötig, dir und mir zu beweisen, wie furchtbar leicht es dir fällt, mich auszutricksen.“
    „Diese Barriere“, sagte er, „wäre nichts für dich gewesen, wenn du dich nur für einen Moment darauf besonnen hättest, was ich dich vor Jahren gelehrt habe: Halte immer alle Sinne offen, nicht nur die fünf alleine, die dich so leicht in die Irre führen.“
    Ich beschloss, daraufhin nichts mehr zu sagen. Sich an dieser Stelle auf ein längeres Wortgefecht einzulassen, hätte unserer kleinen Wanderung eventuell ein vorzeitiges Ende bereiten können. Und mir lag sehr viel daran, sie trotz allem weiter fortzusetzen. Doch der weitere Weg gestaltete sich nicht eben einfach. Es gelang mir zwar nun, mich zielsicher geradeaus zu halten, doch meine Schritte wurden durch eine unsichtbare Kraft gebremst. Bald hatte ich das Gefühl, eine eiserne Hand lege sich um mein Herz und drücke bei jedem Meter, den ich mich vorwärts bewegte, ein wenig härter zu. Das Atmen wurde zusehends schwerer. Ein stechender Schmerz in meiner Brust stellte sich ein, der konstant an Intensität gewann. Binnen kurzem hatte sich dieser Schmerz in meinem Körper ausgebreitet und mir war, als hätte jemand meine Inneres mit heißer Flüssigkeit ausgefüllt, die von Sekunde zu Sekunde immer weiter erhitzt wurde, bis sie alle Organe aufgefressen hatte.
    Doch meinen Schritt zu verlangsamen oder gar stehenzubleiben erlaubte ich mir nicht, bis ich die Hand des Priesters auf meinem Arm spürte, die mich unmissverständlich zurück hielt.
    „Steh still, mein Freund. Wenn du weiter starrköpfig vorwärts läufst, dann wirst du in deinem Leben niemals mehr zu sehen bekommen, was ich dir zu zeigen habe. Denn diese Barriere ist tödlich.“
    „Dann hebe sie auf“, wies ich ihn an. „Genau das“, sagte er, „werde ich heute und auch in Zukunft immer dann tun, wenn wir gemeinsam auf diesem Weg unterwegs sind. Ohne meine Begleitung hierher zu gehen, verbiete ich dir. Und weil alles, was du gleich sehen wirst, mein Eigentum ist, ist das
    auch mein

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