Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
dich vor Jahren dazu bewog, ein kleines Katastrophenszenario herbeizuführen, war einer dieser gläubigen Christen.“
An dieser Stelle unterbrach ich ihn. „Alles beruht also nur auf einem Missverständnis?“ fragte ich voller Ironie. „Ich habe den Teufel in etwas hinein interpretiert, wo er in Wirklichkeit gar nicht war.“
Der Priester überhörte meine Ironie und sprach weiter, ohne meine Worte zur Kenntnis zu nehmen. „Dieser Inquisitor war ein Unikum seiner Zunft: Er war eine wahre Forschernatur. Ihm ist es gelungen, die alte Sprache zu erlernen und geheime Rituale, die nie zuvor niedergeschrieben wurden, auf Papier zu bannen. Er war gleichzeitig fasziniert und abgestoßen von den heidnischen Naturreligionen, auf die er traf und die so viel älter sind, als das Christentum, dass man die Jahrtausende schon nicht mehr zählen kann.
Um seiner christlichen Pflicht Genüge zu tun, hat er nach Niederschrift der alten Riten gleich darauf jedes einzelne Wort davon verdammt. – Dass er der finsteren Macht, der er dies alles zuschrieb, den „Verleumder“ nannte, ist kein Zufall: Es gibt in der alten Sprache, wie du selbst gesagt hast, kein eindeutiges Wort für „Teufel“. Und so beschrieb er diesen sagenhaften Gegenpol Gottes als den Verleumder der christlichen Lehre und Werte. Und natürlich war genau dieser „der ärgste Feind“ der Menschen: Denn wandte man sich ihm zu – wer oder was auch immer „er“ in Wahrheit sein mochte – drehte man automatisch der Kirche den Rücken.
Und das zu verhindern, die Bevölkerung in Angst und Schrecken vor dem finsteren Feind Gottes zu versetzen, genau das ist die Aufgabe eines Inquisitors.“
Jetzt war es an der Zeit, mich ihm gegenüber ins Gras zu setzen.
„Du hat von Anfang an einen großen Fehler gemacht“, meinte ich, endlich Auge in Auge mit ihm, „Du hast gezielt grundlegende Informationen vor deinen Schülern geheim gehalten. Und die Hälfte der Wahrheit bleibt am Ende immer nur eine Lüge.“
„Ich habe dir die Intelligenz zugetraut, aus eigenem Antrieb dem Teufelsglauben nicht anheimzufallen. Die Mächte, die wir anrufen, haben keinen gemeingültigen Namen. Die Namensgebung als Definition unserer Lehre ist jedem selbst überlassen, der Einblick in sie erhält.“
„Umso tiefer der Einblick, desto genauer die Definition“, sagte ich. „Wer nicht viel weiß, macht viele Fehler.“
„Du bist sehr viel reifer geworden, seit damals“, meinte der Priester. „Was mir auffällt, ist deine Neigung zur Präzision: Im Handeln, wie im Denken. Das macht dich umso wertvoller für mich. Und sicher auch umso gefährlicher.“
„Das heißt, du musst eine endgültige Entscheidung fällen“, mahnte ich ihn an dieser Stelle an. „Entweder du hältst mich endlich nicht mehr länger hin, lässt dich ohne Lügen und Ausflüchte auf mich ein, und damit auch auf alle Gefahren, die mit einer gleichberechtigten Zusammenarbeit einhergehen. Oder du schiebst an dieser Stelle einen Riegel vor und veranlasst unsere endgültige Trennung.
– Es ist nicht das erste Mal, dass ich das sage: Es gibt nur diese zwei Wege. Du unterliegst einem Irrglauben, wenn du denkst, du hättest aufgrund deiner Offenbarung bei unserem letzten Treffen die Kontrolle über mich gewonnen.“
Er gab zur Antwort abermals ein leises Lachen von sich. „Ich hatte dich schon in der Hand, als du noch gar nicht geboren warst. - Zugegeben, es hat einige unvorhergesehene Zwischenfälle gegeben. Aber glaube mir: Am Ende behält das Schicksal die Überhand. Und jeder geht den Weg, den er von Anfang an gehen musste.“
„Mit leeren Reden wirst du mich nicht halten können“, mahnte ich ihn.
Während er in aller Ruhe eine dritte Margerite zwischen seinen Fingern zermalmte, sagte er: „Ich weiß genau, was du am meisten von allem begehrst. Ich kenne das Zauberwort, nach dem du strebst. Du hast die allerbesten Anlagen in dir. Doch um sie so wirkungsvoll wie nur möglich einzusetzen, fehlt es dir an tiefergehendem Wissen. – Die halbe Wahrheit bleibt nur eine Lüge, sagst du? Von mir kannst du die ganze Wahrheit bekommen. Und das ist doch genau das, wonach du die ganze Zeit über verlangt hast.“
„Wie soll denn deine ganze Wahrheit aussehen?“ fragte ich ihn skeptisch.
Er stützte sich mit beiden Händen im Gras ab und im Nu hatte er seinen kräftigen Körper auf die Beine gehievt.
„Komm mit mir“, sagte er, auf mich herabblickend. „Wir werden sehen, ob wir dich nicht doch noch
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