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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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in sein Heiligtum, bevor er darauf drängte, diesen Ort wieder zu verlassen.
    „Ich möchte meine Leute nicht warten lassen“, sagte er und wies mit einer überaus höflichen Geste zur Tür.
    „Natürlich“, erwiderte ich mit kaum unterdrücktem Spott. „Man hat ja seine gesellschaftlichen Pflichten.“
    Zur Antwort lächelte er nur verhalten und machte eine weitere unmissverständliche Geste Richtung Ausgang. Ganz der unanfechtbare Hausherr. Die Botschaft war eindeutig: Wie oft ich herkommen und wie lange ich hier verweilen durfte, würde ganz von seinem guten Willen abhängen. Und den musste ich mir zuerst erarbeiten.
    Sein Gerede von Gleichrangigkeit war nichts weiter, als Schall und Rauch. Und ich war gefangen in meinem Durst nach Wissen um den wahren Grund der Dinge. Dieses Wissen war der einzige Weg wahre zur Freiheit, der mir blieb. Doch für diesmal schickte er mich fort aus seinem Heiligtum, nachdem er mir einen flüchtigen Blick auf seine
    Schätze gewährt hatte. Einen Blick, der mir selbst meinen innersten Wunsch nur noch verdeutlichte:
    Durch Erkenntnis zu wahrer Stärke zu gelangen.
    Das Bild des Todes zu vergessen, das ich in mir trage und ein neues Leben auf einer neuen Basis zu beginnen.
    Bedingung hierfür ist, den Widerstand und den Kampf endlich aufzugeben. So werde ich nicht mein Leben opfern müssen, um einer scheinbar gerechten Sache zu dienen, sondern ich kann eine völlig neue Existenz gewinnen und Herr über mein eigenes Schicksal werden.
    Zurück im Wald sah ich die junge Frau, Johanna, wieder, die ich längst tot geglaubt hatte. hatten sie in ein Bündel zerrissener Lumpen gesteckt, das einmal ihr Kleid gewesen war. In einem bestimmten Sinne war sie wirklich tot, obwohl sie körperlich lebendig vor mir stand. Schon als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, ist von ihr nur noch die Ruine des eigentlichen Menschen übrig gewesen. Heute erschien sie mir mehr denn je wie eine Untote. Ein wandelnder, zerschundener Körper ohne Seele. Auch jegliches Anzeichen ihrer Jugend war dahin. Ihr Gesicht war eine Leichenmaske, alterslos und uralt zugleich. Immerhin stand sie auf ihren Füßen, auch, wenn sie eher wie ein abgestellter Gegenstand wirkte, als wie ein Mensch mit eigenem Willen.
    Niemand der im Fackelschein eifrig beschäftigten Helfer beachtete sie. Sie stand einfach nur da, einige Meter von mir entfernt, und starrte mit glasigen Augen ins Leere. Jemand näherte sich mir und blieb an meiner Seite stehen.
    „Er lässt sie laufen“, sagte eine mir wohlbekannte Stimme. Es war des Priesters Schüler, Konrad. „Er befahl den Männern, ihr ihr Leben zu lassen. Man wird sie morgen zurückbringen, nach Hause.“
    Wegen der Kapuze konnte ich sein Gesicht nicht sehen, doch hörte ich aus seiner Stimme das Lächeln heraus, das auf seinen Lippen lag.
    „Eine solche Gnade“, fuhr Konrad fort, „hat er noch nie jemandem erwiesen.“
    Ich ließ ihn stehen und ging zielstrebig über die beleuchtete Lichtung auf den Priester zu, der aufgrund seiner mächtigen Statur trotz seiner Verhüllung aus dem Heer seiner Helfer herausragte.
    „Ich brauche dein Messer“, sagte ich und hielt ihm die Hand hin.
    Er fragte nicht, wozu ich es brauchte, sondern griff sogleich in die Taschen seines Gewands und legte den Griff des Messers in meine Handfläche.
„Aber“, ermahnte er mich, und
    seinem Tonfall war zu entnehmen, dass er es nicht wirklich ernst meinte, „schneide Konrad bitte nur ein Ohr ab, oder einen Finger. Ich brauche ihn noch – und zwar lebendig.“
    Wortlos nahm ich das Messer an mich und wandte mich von ihm ab.
    Als ich Johannas schlaffen Arm griff und sie aus dem Fackellicht heraus in die Dunkelheit des Waldes führte, spürte ich die Blicke des Priesters auf mich ruhen. In diesem Moment wusste ich, dass ich wieder einmal genau das tat, was er von mir erwartet hatte.
    Es berührte mein Gefühl nicht mehr, als das Erschießen eines lahmen Gauls oder eines tollwütigen Hundes.
    Ich weiß, wies man es schnell und schmerzlos beendet.
Und um ihre Leiche kümmerten sich später die Männer des Priesters.
     
    ------- JOSEFINE ------
    Der Weg war vertraut, war sie ihn doch schon hunderte Male gegangen. Er führte zu ihrem Lieblingsplatz am See, wo sie so manche stille Stunde allein verbracht hatte, die Wellen beobachtend und an rein gar nichts denkend. Nur zwei Männer hatte sie mit hierher genommen. Beide etwas jünger, als sie selbst. Und für beide jungen Männer war es das erste Mal gewesen –

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