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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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gutes Recht.“
Er ging ein Stück des Weges alleine weiter und ließ mich zurück.
    Bald vernahm ich in einiger Entfernung seine Stimme, tief und wohlklingend, in erstaunlichem Einklang mit den Geräuschen des Waldes, als entstamme sie der Natur selbst. Das Zweilicht verwandelte den Wald in jenen geheimnisvoll transzendentalen Ort, der uns spüren lässt, dass es mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als die meisten Menschen zuzugeben bereit sind. Der beinah körperlos erscheinende, geisterhafte Gesang, der zwischen den im fahlen Licht grau erscheinenden Bäumen die Luft zum Vibrieren brachte, hätte wohl so manchen auch weniger furchtsamen Spaziergänger in die Flucht geschlagen. Wenn auch der Klang an sich nichts Bedrohliches an sich hatte.
    Ich wusste genau, was es mit diesem ganzen Theater auf sich hatte, das er mit mir abzog. Seine Provokationen hatten nur den einen Sinn: Mir ins Bewusstsein zu rufen, dass ich auf seine Wissensvermittlung angewiesen war. Dass ich zwar die Kraft hatte, aber nicht die Kenntnisse. Und er war der einzige, der mich das Fehlende lehren konnte.
    Kurz nachdem der Gesang verklungen war, rief er mich zu sich. Die Barriere war geöffnet. Meine Schritte lenkten mich in seine Richtung, ohne dass ich etwas anderes verspürte, als die kühle Abendluft um mich herum. Der Weg führte uns nur noch ein gutes Stück tiefer in den Wald hinein. Unter einem großen Stein, den er beiseiteschob, als wäre es nichts, öffnete sich ein schwarzer Abgrund, der in die Tiefe der Erde führte. Wir stiegen hinab in den Schacht. Mit jedem Schritt tiefer schloss sich die Dunkelheit ein Stück mehr um uns. Unten angelangt folgten wir einem langen, finsteren Gang. Wir hatten kein Licht dabei, jedoch hat mir die Dunkelheit noch nie wirklich etwas ausgemacht. Selbst hier, wo kein Strahl der Sonne oder des Mondes hingelangen konnte, war es mir möglich, die kahlen Wände aus schroffem Stein mit den Augen zu erkennen, ohne sie auf dieselbe Weise zu sehen, wie man es im Licht gewohnt ist.
    Der unterirdische Stollen war viele Jahre älter, als das Leben des Priesters währte.
    Mit Staunen stellte ich nicht zum ersten Mal fest, welch unendliche Anzahl von Geheimnissen dieser Wald in sich barg. Der Priester kannte viele dieser Geheimnisse, war aber nicht deren Urheber. Vielmehr waren andere
    Menschen Jahrhunderte - vielleicht sogar Jahrtausende - vor ihm dagewesen und hatten seine Ära gewissermaßen vorbereitet – ob sie sich dessen bewusst waren, oder nicht.
    Da stellte sich unweigerlich die Frage: Wie viel genau wusste er von diesen längst vergangenen Zeiten? – Für ihn gab es keine Zufälle. Er sah ein Schema hinter dem Ablauf der Geschichte, das war mir hinlänglich bekannt.
    Doch was wusste er beispielsweise von den Menschen, die diesen Schacht errichtet hatten, in dem wir uns gerade vorwärts bewegten? War ihm der Grund bekannt, weshalb dieser unterirdische Gang gebaut worden war?
    Ich konnte nicht umhin, mir selbst die Frage nach der Verknüpfung dieser Umstände zu stellen. Gerne hätte ich die Antwort darauf erfahren.
    Der Schacht hatte eine enorme Länge. Minute um Minute folgten wir seinem zumeist schnurgeraden Weg. Nur ab und an machte der Gang einen Knick nach links oder rechts. Abzweigungen gab es nicht. Irgendwann kamen wir an eine Tür aus massivem Holz, mit schweren eisernen Beschlägen. Der Priester öffnete das Schloss dieser Tür mit einem Schlüssel, den er aus seiner Hosentasche hervorholte. Der Raum hinter der Tür kam für mich einem Paradies gleich: Er überraschte mich sowohl in seinen Ausmaßen, als auch in seiner erstaunlichen Ausstattung.
    Gleich neben dem Eingang hing eine Fackel an der Wand, die der Priester entzündete, damit mir nichts von dem verborgen blieb, was sich dem staunenden Betrachter hier bot: Verstaubte Regale aus dem Zahn der Zeit trotzendem Eichenholz führten in kaum enden wollender Reihe an den steinernen Wänden entlang, voll beladen mit Büchern, Mappen und Schriftrollen. Der Raum war lang und schmal, nur ein enger Gang führte durch die Regalzeilen hindurch. Über uns bildeten sorgfältig behauene Steinquader ein tonnenförmiges Gewölbe. Am anderen Ende des Raumes führten drei Stufen hinauf zu einem runden Podest, auf dem ein mächtiger Schreibtisch stand. Hinter dem Schreibtisch war die kahle Wand zu sehen: graue Natursteine unterschiedlichster Größe.
    Wie in einen magischen Bann geschlagen schritt ich die Reihen der Regale ab, meine Augen glitten über die

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