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Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)

Titel: Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Gees
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nicht verstand. Einige andere Zeichen konnte er lesen, sie waren der alten Sprache entnommen, die ihm bis zu einem gewissen Grad vertraut war. Unter denjenigen, die Symbole der alten Sprache auf dem Einband trugen, war ein relativ kleinformatiges, unscheinbares Buch mit dunklem Ledereinband. Es wirkte nicht annähernd so alt, wie diejenigen Bücher, die links und rechts davon standen. Die etwaige Übersetzung der Inschrift auf dem Rücken lautete: Der neue Weg
    Seine Augen blieben an diesem Einband hängen, ohne dass es einen ersichtlichen Grund dafür gab. Beinah automatisch griffen seine Hände nach dem kleinen Buch, drehten es herum, sodass er die Vorderseite ansehen konnte. Doch die Buchfront war leer. Nur blankes, schwarzes Leder. Er schlug das Buch auf.
    Das Papier der Seiten machte einen relativ frischen Eindruck. Keine Vergilbung, kein Risse.
    Und jede einzelne Seite war handschriftlich beschrieben. Es waren die Worte der alten Sprache, die er dort erkannte. Doch es würde viel Zeit und Ruhe brauchen, den Sinn der einzelnen Sätze zu entschlüsseln. Er schloss das Buch und schob es in die Innentasche seines Mantels.
    Dann machte er einen Schritt von dem Regal zurück und dachte einen Moment lang nach: Die sicherste Vorgehensweise wäre es, die Bibliothek selbst so abzusperren, dass der Priester zumindest für eine Weile darauf keinen Zugriff mehr hatte. Damit hätte er den Spieß umgedreht. Aber in seiner momentanen Verfassung war er wohl nicht zu einer solchen Leistung in der Lage. Sicher, die Kälte der totalen Entkräftung begann ganz langsam wieder, aus seinem Körper zu weichen. Doch dies war nur der Anfang einer lange andauernden Erholungsphase. Und selbst danach, wenn er sich wieder völlig von den Anstrengungen erholt hatte, die hinter ihm lagen, war es kaum wahrscheinlich, dass er den Priester würde abhalten davon abhalten können, sein eigenes geheimes Domizil zu betreten. Plötzlich wusste er, dass es bereits zu spät war, sich Gedanken zu machen. Er spürte, dass er bereits entdeckt worden war. Und nicht nur das: Der Priester stand direkt in der Eingangstür, still, den Blick auf Robert gerichtet.
    Robert wandte sich zu ihm um.
     
    „Was tust du hier?“ fragte der Priester ihn dumpf.
    „Es ist ein Versuch“, sagte Robert lakonisch. „Ich wollte wissen, wie schnell du hier sein kannst.“
    „Und?“ erkundigte sich der Priester ungerührt. „Ist das Ergebnis zufriedenstellend?“
    „Du bist nicht schlecht“, war die Antwort. „Meine Bewunderung.“
    „Das Kompliment kann ich zurückgeben“, meinte der Priester mit unbewegter Miene. „Du bist hier eingefallen, wie Napoleon auf seinen Eroberungsfeldzügen.“
    „Aber ich habe rein gar nichts erobert. Ich habe wohl nur den Regenten verärgert.“
    „Ich denke, ich habe dir deutlich gemacht“, erklärte der Priester ruhig, ohne sich von der Stelle zu rühren, „dass dies hier mein Eigentum ist und du nicht befugt bist, es ohne mein Wissen zu betreten. Ich will keinen Krieg zwischen uns – aber du befindest dich gerade auf sehr, sehr dünnem Eis.“
    Robert streckte die Hand aus und legte die Fingerspitzen auf den Rücken eines der im Regal stehenden Bücher. „Das Eis war schon immer dünn“, erwiderte er. „Es wird nicht auf Dauer uns beide tragen können.“
    Der Priester straffte seine breiten Schultern. Er trug das schwarze Gewand, keine zivile Kleidung. Wie ein mächtiger Fels versperrte er die einzige Öffnung dieses Raumes, und durch das Aufrichten seines Körpers wirkte er noch größer, noch unüberwindbarer. „Du bist nur ein Teil des Ganzen“, sagte er mit nicht sehr lauter, aber dennoch durchdringender Stimme. „Deine Wurzeln hast du bei mir zu suchen. Ich muss dich daran erinnern, dass du ohne mich nicht existieren würdest. Allein bist du unvollkommen – und wirst es immer bleiben.“
    Bei diesen Worten fühlte Robert den altbekannten, ohnmächtigen Zorn in sich aufsteigen. Gepresst brachte er hervor: „Der Allmächtige spricht mit seiner selbst geschaffenen Kreatur. Ich verstehe.“
    „Jemand der es besser weiß“, berichtigte ihn der Priester, „spricht mit einem anderen, der erst noch lernen muss.“
    „Und mein Lernen willst du genauso kontrollieren, wie du meine Entstehung kontrolliert hast“, sagte Robert bitter. „Du willst meine Richtung bestimmen. Erklärst mich zu deinem Eigentum, genau, wie all diese Bücher hier.“ Seine Fingerkuppen glitten das Regal entlang, über einige Buchrücken hinweg,

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