Wer Blut sät (Vater der Engel) (German Edition)
Worte fanden sich in seinem Kopf zu keiner Bedeutung zusammen. Es existierten nur Gefühle – und auch die waren rein physischer Natur. Wie der feste Griff einer Hand. Oder die Wasserschale an seinem Mund. Einmal, als er wieder für kurze Zeit knapp unter der Oberfläche dieses nachtschwarzen Sees der Ohnmacht schwamm, fühlte er, dass seine Arme mit kühlendem Stoff umwickelt waren, jedoch die Haut der Oberarme brannte. Er hatte sich bisher kein einziges Mal zu bewegen versucht, und tat es auch diesmal nicht. Zu weit entfernt von seinem Geist schienen ihm die einzelnen Muskeln, die seine Körperteile in Bewegung setzen konnten. Der Schlaf hüllte ihn ohnehin schon nach kurzer Zeit wieder ein. Das Brennen verschwand und mit ihm auch die schwache Verbindung zur Außenwelt.
Doch irgendwann kehrte die Realität wieder zu ihm zurück, er durchbrach die Oberfläche des dunklen Sees, um Stück für Stück wieder in der Wirklichkeit aufzutauchen. Es war die Stimme des Priesters, die er als erstes wahrnahm. Und es waren keine zusammenhangslosen Laute mehr, die sein Gehirn erreichten. Aus dem Gesprochenen formten sich sinnvolle Worte und Sätze.
„... willkommen, mein Freund, willkommen zurück auf dieser Erde.“
Robert öffnete ohne Mühe die Lider. Doch an seine Augen drangen nur wenige schwache Lichtstrahlen, gefiltert durch ein um seinen Kopf gelegtes, engmaschiges schwarzes Stoffstück: Also wieder gefangen, mit diesem profanen, banalen Mittel!
„Es ist alles in Ordnung“, erklärte ihm der Priester irgendwo hinter dieser Wand aus Stoff. „Ich habe dich nur eine Weile schlafen lassen. Du hast keinen Schaden davongetragen, mein Freund.“
Die Stimme erzeugte einen dumpfen Hall, wie in einem nicht sehr großen, leeren Raum mit steinernen Wänden oder in einer kleinen Höhle.
Robert antwortete nicht. Er zweifelte daran, dass ihm kein Schaden widerfahren war. Zu deutlich war wieder das Brennen an seinen Armen zu spüren. Er trug dort zweifellos Verbände, die mit einer schmerzstillenden Substanz versehen waren. Sein Körper war etwas steif, jedoch weitgehend schmerzfrei. Er saß mit ausgestreckten Beinen auf einem kalten Boden, mit dem Rücken gegen eine harte Wand gelehnt. Seine Beine waren frei. An seinen Handgelenken spürte er zwei breite, weiche Schlingen. Die Ellbogen waren zu beiden Seiten von seinem Körper weg leicht angewinkelt, die Gelenke an der Wand fixiert.
„Du hast ein Unheil angerichtet, das niemals wieder gutzumachen ist“, sagte der Priester in sachtem Ton. „Die Sammlung war älter, als ein Mensch es überhaupt ermessen kann. Sie hätte künftigen Generationen Antwort auf viele Fragen bieten können. Die Durchleuchtung des Rätsels menschlicher Existenz und all seiner Sinnfragen. Uralte Kulturen, die heute niemand mehr kennt, haben Zeugnis abgelegt über ihre größten Geheimnisse. Ich konnte nur einen Teil dieser Dokumente retten. Vieles ist für immer verloren. In einem Feuer, das aus purer Missgunst gelegt wurde.“
Auch diesmal gab Robert keine Antwort. Der Priester schien jedoch trotz seiner Schweigsamkeit genau zu wissen, dass er wach war. Er redete weiter, ohne auf das Schweigen des Angesprochenen zu achten.
„Was die alten Schriften traf, hat eigentlich mir gegolten. Wie groß muss dein Hass sein, dass du, um ihn zu befriedigen, zerstörst, was unendliche Generationen zusammengetragen und gehütet haben, zu einem höheren Zweck, der nun niemals erfüllt wird.“
Wieder machte er eine Pause. Robert hörte seine Bewegungen, das Rascheln von Stoff. Er schien sich ihm gegenüber auf den Boden zu setzen. Bei den nächsten Worten erklang die Stimme auf seiner Höhe, nicht mehr über ihm.
„Du bist wie ein Pulverfass das wahllos alles auslöscht, was sich um ihn herum befindet“, fuhr der Priester fort, ohne auch nur ein Stück der Ruhe in seinem Tonfall zu verlieren. „Nach meinem Plan hättest du sehr bald alles besitzen können, wonach du verlangst: Dazu gehörte meine Sammlung der Schriften, aber auch diese außergewöhnliche Frau, die offensichtlich mehr für dich bedeutete, als nur irgendeine Affäre. Sie hast du umgebracht. Und die Bücher hast du verbrannt. Du wärst vielleicht der Erste gewesen von einer neuen Generation von Menschen, dein Erbgut als Grundlage für einen neuen Weg.
Die Entwicklung der Menschheit trägt sie immer weiter fort von der Beherrschung und sogar der einfachen Wahrnehmung der um sie herum vorhandenen, unsichtbaren Kräfte. Doch du und deine
Weitere Kostenlose Bücher