Wer Blut vergießt
die Ecke ist ein Starbucks. Ich spendiere Ihnen einen Kaffee.«
Andy wirkte gehetzt, als er sein Handy aus der Jeanstasche zog und die Uhrzeit ablas. Er trug keine Armbanduhr. »Ich habe in einer Stunde eine Session in Notting Hill. Ich darf nicht zu spät kommen.«
»In Notting Hill? Mit Poppy?«
»Woher wissen Sie …« Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist bloß ein verrückter Traum. Das hier ist Brotarbeit, in einem der Studios in Lansdowne House, und es ist seit Monaten gebucht. Ich kann es mir nicht leisten, den Termin sausen zu lassen.«
»Zwanzig Minuten«, beharrte Gemma. »Ich würde es ungern offiziell machen.«
Es war eine verhüllte Drohung, und nach kurzem Überlegen zuckte Andy mit den Schultern. »Okay.« Er ging voran, und sie bogen um die Ecke in die Oxford Street ein, wo sie den Autos und Fußgängerscharen ausweichen mussten.
Obwohl er nicht viel größer war als Gemma, hatte sie Mühe, mit ihm Schritt zu halten, doch als sie am Café anlangten, schien er sich an seine Kinderstube zu erinnern und blieb stehen, um ihr die Tür aufzuhalten.
Als sie eintraten, schlug Gemma wohlige Wärme entgegen, und sie sog das unverwechselbar heimelige Aroma ein. »Wie kommt es, dass es in keinem anderen Café so riecht wie bei Starbucks?«, fragte sie. »Ich meine, Kaffeebohnen sind Kaffeebohnen, da sollte man doch denken, dass es überall gleich riecht.« Als Andy sie verständnislos ansah, fügte sie hinzu: »Na, egal. Was darf ich Ihnen bestellen?«
»Nur einen normalen Kaffee. Schwarz.« Er stellte seinen Gitarrenkoffer neben einem Hocker am Fenster ab und las wieder die Uhrzeit vom Handy ab.
Der Kaffee für den kleinen Geldbeutel, dachte Gemma. So hatte sie ihren auch getrunken, als sie mit Toby allein dastand und jeden Penny dreimal umdrehen musste, um die Rechnungen bezahlen zu können. Während sie in der Schlange wartete, fragte sie sich, ob Andy Monahan wohl ahnte, wer Melodys Vater war, und ob es für ihn einen Unterschied machen würde, wenn er es wüsste. Er wirkte nicht wie jemand, der sich von Geld und Macht beeindrucken ließ – die Vorstellung würde ihn vielleicht sogar eher abschrecken.
Als sie mit ihren Kaffees zurückkam – sie hatte sich für halb Kaffee und halb geschäumte Milch entschieden, da sie einen langen Tag vor sich hatte und wusste, dass sie mittendrin einschlafen würde, wenn sie es so früh schon mit dem Koffein übertrieb –, saß er unruhig auf der Kante seines Hockers.
Sie hebelte den Deckel von ihrem Becher ab und nutzte die Gelegenheit, Andy eingehender zu betrachten. Er schien wenig mit dem frechen Jüngling gemeinsam zu haben, den sie gelegentlich bei Tam und Michael kommen oder gehen sah, wenn sie Louise besuchte. Er war älter, als sie gedacht hatte, und er sah aus der Nähe betrachtet eher noch besser aus, mit seinen verschatteten dunkelblauen Augen und dem wirren Haarschopf mit den blonden Spitzen. Und auf dem Video hatte sie sein begnadetes und technisch ausgefeiltes Spiel bewundern können, und sie hatte noch etwas anderes wahrgenommen, ebenso undefinierbar wie unbestreitbar vorhanden. Er hatte das Zeug zum Star, was immer das genau sein mochte, und sie fragte sich plötzlich, was er für den Erfolg, den er verdient hatte, alles tun würde.
»Erzählen Sie mir von Shaun Francis«, forderte sie ihn auf.
Andy sah sie verblüfft an, als hätte er erwartet, dass sie weiter Smalltalk machte. Sie tippte auf ihre Armbanduhr. »Sie sind derjenige, der einen Termin hat.«
»Ich habe es Melody schon erzählt. Ich bin ihm mal im Sommer begegnet, als wir Kinder waren, im Crystal Palace Park. Ich mochte ihn nicht. Und ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.«
Gemma zog das Foto aus der Tasche, das Amanda ihr gegeben hatte, und zeigte es Andy.
Er betrachtete es, runzelte die Stirn, schüttelte den Kopf und gab es Gemma zurück. »Wenn das Shaun ist, bin ich mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt wiedererkannt hätte.« Er wischte sich die Finger am Hosenbein ab – eine seltsame Geste, fand Gemma; als ob er das Bedürfnis hätte, selbst einen so entfernten Kontakt gleich wieder auszulöschen.
»Wussten Sie, dass er am Cleaver Square wohnte?«
»Nein. Woher sollte ich das wissen?«
»Waren Sie schon einmal in dem Pub dort, dem Prince of Wales?«
»Ja, aber das ist schon eine Weile her. Ein Kumpel von mir ist Fotograf und Mitglied im Camera Club dort um die Ecke. Ich war mal mit ihm einen trinken, als er ein paar PR -Aufnahmen von der Band gemacht hat,
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