Wer Blut vergießt
Aber es war vielleicht gar nicht nötig, wenn Sie sich ansehen, was die Toxikologie ergeben hat.«
»Hat er eine Überdosis von dem Valium genommen, das wir gefunden haben?«, fragte Gemma.
»Keine Überdosis, nein, obwohl ich auf jeden Fall sagen würde, dass er es mit der verschriebenen Dosis nicht so genau genommen hat. Aber es war die Kombination von allem, die ihm durchaus auch ohne die tatkräftige Hilfe eines Würgers den Garaus gemacht haben könnte. Er war nicht nur mit Valium, sondern auch mit Xanax vollgepumpt, und sein Blutalkohol war irre hoch.«
»Xanax? Aber das Tatortteam hat in der Wohnung nichts davon gefunden.«
»Nein. Das heißt, dass er es entweder jemandem abgekauft oder abgenommen hat, oder …«
»Könnte jemand es ihm verabreicht haben?«
»Genau mein Gedanke – es sei denn, der Bursche war ein kompletter Idiot, der nicht wusste, dass man die beiden Medikamente nicht mischen sollte, zumal nicht mit Alkohol. Ich vermute mal, dass es in dem Gin Tonic war. Das bittere Tonic Water hätte den Geschmack des Medikaments überlagert. Und ich vermute auch, dass es doppelte Gins waren. Selbst wenn er den ganzen Tag über getrunken hätte, wäre ein Teil des Alkohols schon abgebaut worden, also nehme ich an, dass er ihn innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums aufgenommen hat.«
»Kein Wunder, dass er sich übergeben musste«, meinte
Gemma.
»Ja. Und das hätte vielleicht gereicht, um ihm das Leben zu retten, wenn er nicht erdrosselt worden wäre.«
»Gab es Anzeichen dafür, dass er sich gewehrt hat?«
»Nein. Ich habe keine Gewebepartikel unter seinen Nägeln gefunden und auch keine Hämatome, die darauf hinweisen würden, dass er sich in letzter Minute zur Wehr gesetzt hat. Allerdings, wenn er schon auf dem Bauch gelegen hat, die Hände auf dem Rücken gefesselt, dann hätte er ohnehin nicht viel ausrichten können.«
»Hat er demjenigen, der ihn fesselte, vertraut, oder war er durch die Drogen und den Alkohol so benebelt, dass er gar nicht wusste, wie ihm geschah?«
»Schwer zu sagen. Es ist denkbar, dass er nur zwischendurch für kurze Zeit bei Bewusstsein war.«
Gemma versuchte sich die Situation vorzustellen. »Könnte eine Frau das getan haben?«
»Das Erdrosseln auf jeden Fall. Und das Fesseln auch, wenn er entweder damit einverstanden war oder so zugedröhnt, dass er sich nicht wehren konnte. Meine Frage wäre, ob eine Frau in der Lage gewesen wäre, ihn vom Pub nach Hause zu bringen, um ihn dann auszuziehen und aufs Bett zu wuchten. Er war ein ziemlich kräftiger Bursche. Fifty-fifty, würde ich sagen.«
»Danke, Rashid. Das schränkt die Möglichkeiten natürlich sehr ein«, sagte Gemma.
»Immer gerne zu Diensten«, antwortete er grinsend.
»Der Barmann im Prince of Wales konnte sich nicht erinnern, Shaun Francis mehr als einen Drink serviert zu haben. Ich frage mich, ob sich von den übrigen Angestellten jemand daran erinnern würde, dass ein Gast doppelte Gin Tonics bestellt hat. Da müssen wir jemanden drauf ansetzen.« Gemmas Handy klingelte.
Es war Melody. »Chefin, ich bin jetzt oben, und Amanda Francis ist bei mir.«
»Sekunde.« Gemma sah Rashid an. »Die Schwester ist da, wegen der offiziellen Identifizierung. Ist alles vorbereitet?«
»Ich lasse ihn in den Abschiedsraum bringen«, antwortete Rashid, während er sich schon auf den Weg machte.
»Melody«, sagte Gemma ins Telefon, »ich bin gleich bei dir.«
Amanda Francis betrachtete den Leichnam ihres Bruders stumm, ihre Miene vor Kummer erstarrt. Sie wirkte erschöpft, ihr Gesicht war immer noch verquollen, doch ihre Augen waren trocken. Sie hatte wohl so viel geweint, dass sie keine Tränen mehr hatte, dachte Gemma.
Nach einer vollen Minute nickte sie und streckte die Hand aus, als ob sie sein Gesicht berühren wollte, zog sie dann aber zurück. »Ich habe noch nie einen Toten gesehen«, sagte sie. »Mein Vater – Nicht einmal meine Mutter hat ihn gesehen. Sie haben ihn von meinem Onkel identifizieren lassen. Es ist … merkwürdig. Das ist Shaun, aber … irgendwie leer. Sogar die Wachsfiguren in Madame Tussauds haben mehr Leben.«
»Ich weiß«, sagte Gemma und legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter. »Sind Sie bereit, jetzt mit mir nach oben zu gehen?« Sie hatte Melody gebeten, ihnen Tee aus der Cafeteria des Krankenhauses zu organisieren. Als Amanda nickte, bedeutete Gemma Rashids Mitarbeiter, dass sie fertig seien, und führte Amanda hinaus.
Als sie mit dem Aufzug nach oben fuhren, fragte
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