Wer Blut vergießt
den ich je gekannt habe. Ich habe sie enttäuscht. Und jetzt erzählst du mir, dass sie diese Mistkerle ermordet hat und mich auch ermorden will? Das ist Schwachsinn. Totaler Schwachsinn.«
Melody stand auf; seine Heftigkeit erschreckte sie. »Andy, ich weiß, dass es schwer ist …«
»Du weißt gar nichts.« Er setzte sich wieder, als ob seine Knie sich weigerten, ihn aufrecht zu halten, und er hielt die Gitarre vor seine Brust wie einen Schild. Sein Blick war plötzlich leer. »Ich muss üben. Ich habe morgen eine Session mit Poppy. Ich habe Tam versprochen, wenigstens noch eine zu machen, und was ich verspreche, halte ich auch.«
»Andy, ich …«
Er sah sie an, als wäre sie eine Fremde. »Mach die Tür hinter dir zu.«
»Andy, ich wollte dir doch nicht wehtun.«
Einen Moment lang glaubte sie, er werde nicht antworten, doch dann sagte er: »Wir tun oft etwas, ohne es zu wollen, aber das macht es nicht ungeschehen.«
Irgendwann am Nachmittag schloss sie den Laden ab, weil sie es schlicht nicht mehr aushielt, mit irgendjemandem zu reden oder sich ein Lächeln und ein Kompliment für die Kundinnen abzuringen, wenn sie hereinkamen und die Stoffe anfassten und streichelten, als ob sie ihre Befriedigung in einer Art vorübergehendem Besitzerstolz fänden.
Sie irrte ziellos durch Covent Garden und Soho, bis sie merkte, dass die Straßenbeleuchtung eingeschaltet war und ihre Haare und ihr Mantel mit winzigen Wassertröpfchen benetzt waren, die bis auf ihre Kopfhaut und ihr Kleid durchsickerten.
Der Kastanienverkäufer hatte sein Kohlenbecken vor den Arkaden von Covent Garden aufgebaut. Das Feuer zog sie an. Sie blieb stehen und hielt die Hände vor die Flammen, um sich zu wärmen.
Der Verkäufer, knorrig wie ein Stück altes Treibholz, schenkte ihr ein zahnloses Grinsen. »Nur ein Pfund, hübsche Dame, heiße Kastanien, nur ein Pfund!«, sagte er, und sie dachte an Männer wie ihn in den Parks von Paris. Sie kramte in ihrer Geldbörse nach einer Münze und gab sie ihm im Tausch für die warme Papiertüte. Als sie außerhalb seiner Sichtweite war, steckte sie die Tüte in die Manteltasche. Sie konnte den Gedanken an Essen nicht ertragen, aber die Wärme war angenehm.
Doch als sie auf der anderen Seite des Marktes auf die Floral Street trat, sah sie sie vor ihrer Wohnung stehen. Sie erkannte sie, trotz ihrer Zivilkleidung. Wer einmal auf den Straßen von Paris gelebt hatte, besaß einen Blick für Polizisten. Sie machte kehrt, wobei sie darauf achtete, sich nicht zu hektisch zu bewegen, und ging zum Markt zurück. Mit einer Hand klappte sie ihren Mantelkragen hoch und steckte ihre Haare darunter.
Es wäre keine gute Idee, zum Laden zurückzugehen – nicht, wenn sie schon die Wohnung gefunden hatten. Sie nahm den Ausgang zur Garrick Street, nahe St. Paul, der Kirche der Schauspieler, und ging weiter zur Charing Cross Road. Die Panik überkam sie in Wellen, machte sie schwindlig und orientierungslos. Ein Paar in dunklen Mänteln und Mützen stand vor der Patisserie Valerie und betrachtete die Auslagen, und einen Moment lang glaubte sie, sie sei in Paris.
Nein, nein. Sie schüttelte den Kopf, und mit pochendem Herzen wagte sie es, ein wenig schneller zu gehen. Erinnerungen trübten ihren Blick, während achtlose Passanten sie anrempelten. Und dann, ohne dass sie recht gewusst hätte, wie sie dorthin gelangt war, fand sie sich wieder in der Denmark Street, einer Oase der Stille. Die Gitarren glänzten in den hell erleuchteten Schaufenstern. Mit gesenktem Kopf passierte sie das 12 Bar, dessen Fensterläden noch geschlossen waren. Hier gab es für sie keine Zuflucht.
Ein Lichtschein drang aus der Kirche am Ende der Straße. Die Türen zum Kirchenschiff standen offen. Es war Mittwoch, wie ihr nun einfiel, und sie klammerte sich an diesen Ansatz eines rationalen Gedankens. Wahrscheinlich fand gerade irgendein Abendgottesdienst statt. Als sie das große Portal erreichte, blieb sie einen Moment stehen, um zu lauschen, und vernahm beruhigt die vertrauten Klänge der Liturgie. Die Kirche war nur spärlich besucht, wie sie sah, sodass sie sich unbemerkt in die vorletzte Bank schleichen konnte.
Sie hüllte sich fest in ihren Mantel und bemühte sich aufzustehen, wenn die anderen es taten. Erinnerungen stiegen in ihr auf, getragen von den Stimmen um sie herum, und die Vergangenheit schien mit der Gegenwart zu verschmelzen. Sie sah Marshall fallen und hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Der
Weitere Kostenlose Bücher