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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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säuerliche Geruch des Weins war wieder da, und – begleitet von einem neuerlichen Schwindelanfall – das Gellen ihres eigenen Schreis.
    Ihre Hände waren jetzt so kalt, dass sie einen Moment lang glaubte, sie sei in Paris, in jenem ersten, bitterkalten Winter, als sie gelernt hatte, in leeren Kirchen Zuflucht zu suchen.
    Dann, als die Gemeinde niederkniete, fiel ihr wieder ein, wie es gemacht wurde. Sie blickte sich um. Hinter ihr war niemand. Sie bückte sich, als ob sie nach etwas suchte, vielleicht nach einem heruntergefallenen Gebetbuch oder einem Faltblatt. Als die Gemeinde sich zum Schlussgebet erhob, zwängte sie sich in den engen Zwischenraum unter der Bank. Sie rollte sich zusammen, zog ihren Mantel über sich und redete sich ein, sie sei unsichtbar.
    Schlurfende Schritte waren zu hören, dann die Stimme des Pfarrers, der jemandem eine gute Nacht wünschte. Und dann, endlich, Stille. Die Türen schlossen sich mit dem Gewicht von Jahrhunderten, und die Lichter erloschen.

23
    Es war eine bunt gemischte Menschenmenge, die sich versammelt hatte, um das Ende eines berühmten Londoner Wahrzeichens mitzuerleben. Da waren die Experten, gewappnet mit ihrem Wissen über die örtliche Topografie. Da waren die jungen Männer und Frauen, die man immer sieht, wenn irgendwo ein kostenloses Spektakel geboten wird. Da waren Scharen von Radfahrern und Radfahrerinnen. Da waren jüngere Männer und Frauen, deren Kleidung und Sprache Spuren von Bloomsbury, Hampstead und Chelsea aufwiesen und die die ganze Sache sehr ernst nahmen. Aber dazwischen waren auch viele ältere Männer und Frauen zu sehen, für die die Zerstörung des Palasts das Ende eines Kapitels in ihrem Leben bedeutete.
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    Melody hatte nicht gut geschlafen. Den Rest des gestrigen Abends hatte sie in Dougs Wohnung verbracht und dort auf seinem Laptop sämtliche Gerichtsunterlagen gelesen, die er aus der Datenbank abgerufen hatte.
    In niedergeschlagener Stimmung war sie nach Notting Hill zurückgefahren, und als sie endlich im Bett lag, wälzte sie sich unruhig hin und her, gequält von Traumfetzen, in denen sie vergeblich versuchte, etwas zu erjagen, irgendetwas, das sie gesehen oder gehört hatte und das ihr immer wieder entglitt wie Quecksilber, wenn sie es gerade ergreifen wollte.
    Als sie erwachte, mit schweren Gliedern vom Schlafmangel und einem flauen Gefühl im Magen, fand sie eine SMS von Gemma vor. Melody müsse sie nicht abholen, schrieb sie, da sie mit der U-Bahn nach Putney fahren würde, um ihr Auto abzuholen. Melody stöhnte. Sie hätte früher aufstehen sollen.
    Und zu allem Unglück verhieß auch der Wetterbericht auf Radio 2 nichts Gutes: Temperaturen um den Gefrierpunkt sowie verbreitet Schnee oder Schneeregen. Nach dem Duschen zog sie deshalb Pulli, Jeans und Stiefel sowie eine alte Daunenjacke an, die sie eigentlich nur für Ausflüge zum Landhaus ihrer Eltern benutzte.
    Als sie in Brixton ankam, fand sie Gemma nicht in der Einsatzzentrale, sondern in ihrem Büro.
    »Schlecht geschlafen?«, fragte Gemma, als sie Melody erblickte.
    »Ist das so offensichtlich?« Melody rieb sich das Gesicht. »Gott, ich muss ja furchtbar aussehen. Tut mir leid, dass ich uns keinen Kaffee besorgt habe, aber ich war so schon spät dran.«
    Gemma deutete auf einen Pappbecher mit Deckel auf ihrem Schreibtisch. »Ich hab welchen für dich geholt. Du kannst ihn in die Mikrowelle stellen, wenn er schon kalt ist.« Nach einem weiteren kritischen Blick auf Melody fügte sie hinzu: »Obwohl du eher eine Koffein-Infusion brauchst, wenn ich dich so anschaue. Hast du bei Doug irgendetwas Neues rausgefunden?«
    »Nein.« Melody hatte Gemma am Abend auf dem Weg zu Doug angerufen und ihr gesagt, dass sie mit Andy gesprochen habe und er wohlauf sei. »Ich mache mir aber ein bisschen Sorgen um Dougs Knöchel. Er schont ihn jetzt ziemlich konsequent, aber mit der Heilung scheint es nicht recht voranzugehen.« Sie runzelte die Stirn, als sie die verstreuten Papiere auf Gemmas Schreibtisch sah. »Hat sich hier irgendwas ergeben?«
    »Ich habe Caleb Harts Alibis überprüft.« Gemma nahm einen Schluck von ihrem Kaffee, verzog das Gesicht und stellte den Becher wieder hin. »Uaah – kalt. Also, ich habe endlich mit dieser Sängerin gesprochen, obwohl ich dazu erst ihren Agenten fragen musste, der sie dann über die Zentrale zurückrufen ließ, um sicherzustellen, dass ich wirklich von der Polizei bin. Aber sie sagt, ja, es sei ihr in der Tat sehr schlecht

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