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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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nach Nadines Entlassung sei Joe Peterson an der Schule von allen geschnitten worden. Shaun, sein einziger wirklicher Freund, brach den Kontakt zu ihm ab. Seine Noten wurden schlechter. Er musste die Schule verlassen, und wie es aussieht, ist es mit ihm von da an stetig bergab gegangen. Wem würde er wohl die Schuld daran geben?«
    »Shaun«, sagte Gemma langsam, während sie die Sache durchdachte. »Arnott – möglicherweise stellvertretend für seinen Vater, weil er die Konfrontation mit ihm nach wie vor scheut. Und …« Sie sah Melody an, und ihr Blick war besorgt. »Weißt du, wo Andy ist?«
    Melody hatte plötzlich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. »Er hat gesagt, er würde heute mit Poppy aufnehmen. Ich nehme an, dass er das Studio in Crystal Palace gemeint hat.«
    Sie wachte auf, so durchgefroren und steif, dass sie sich kaum rühren konnte. Noch fiel kein Licht durch die Fenster des Kirchenschiffs, doch ihr Körper sagte ihr, dass es kurz vor Tagesanbruch war. Ihr leerer Magen krampfte sich zusammen. Vorsichtig bewegte sie zuerst ihre Finger, dann die Zehen, bis sie sich endlich ganz ausstrecken konnte. Etwas drückte gegen ihre Hüfte, ein Klumpen in ihrer Manteltasche. Da fiel es ihr wieder ein – die Kastanien.
    Nachdem es ihr gelungen war, sich in der Bank in eine sitzende Haltung hochzustemmen, nahm sie die Tüte aus der Tasche und aß die zähen, kalten, mehligen Nüsse eine nach der anderen, dabei lutschte sie jeden Bissen, bis sie genug Speichel im Mund hatte, um schlucken zu können.
    Nach und nach tauchten die Fenster aus der Dunkelheit auf, graue Silhouetten, die ihre Form zu verändern schienen, während sie hinsah.
    Nadine spürte, wie die Stadt außerhalb der Kirchenmauern zum Leben erwachte. Auch das war etwas, was sie in Paris gelernt hatte: dieses tiefe Summen wahrzunehmen, die Vibrationen, wenn die ersten Züge fuhren und überall ringsum die Menschen erwachten, mit ihren Gedanken, Bewegungen, Gesprächen. Jede Stadt hatte ihren eigenen Puls.
    Und letzte Nacht hatte London sie in die Arme genommen und ihr Asyl gewährt. Mit diesem Gedanken kam die Erkenntnis, dass die Panik von ihr gewichen war, während sie geschlafen hatte. Vielleicht hatte die Stadt – oder diese Kirche – ihr mehr als nur eine Zuflucht geschenkt.
    Während die großen Fenster sich mit Licht füllten, lag ihr Weg plötzlich in aller Klarheit vor ihr. Sie würde nicht mehr weglaufen. Sich nicht mehr verstecken. Sie würde zur Polizei gehen und sagen, was sie in jener Nacht im Belvedere Hotel getan hatte.
    Aber zuerst musste sie Andy finden.
    Zum dritten Mal schon verpatzte Andy das Intro zu der Nummer, an der sie arbeiteten. Er fluchte.
    Aus dem Regieraum kam Calebs Stimme: »Fünf Minuten Pause, okay? Oder wie wär’s, wenn ich uns ein paar Sandwichs aus dem Pub hole, während ihr zwei euch ein bisschen sammelt?«, fügte er voller Sarkasmus hinzu. Andy vermutete, dass er nur hinausging, um Tam anzurufen und ihn zu fragen, was zum Teufel mit seinem Gitarristen los war.
    Poppy wartete, bis Caleb aus dem Fenster des Regieraums verschwunden war, dann schaltete sie zuerst ihr eigenes Mikro und dann das von Andy aus. Mit ihrem Rentierpullover und der orangefarbenen peruanischen Mütze mit den Ohrenklappen sah sie aus wie eine Elfe, die sich in die falsche Hemisphäre verirrt hatte. Zum Glück hatte sie wenigstens ihre knallrosa Daunenjacke ausgezogen und über ihren Gitarrenkasten gehängt.
    »Was ist denn heute los mit dir, Gitarrero?«, fragte sie mit einem Blick auf den verwaisten Regieraum. »Hast du Würstchen anstelle von Fingern?«
    Andy bewegte seine Finger, die heute einfach nicht so wollten, wie er wollte. »Es ist vielleicht die Kälte.« Die lahmste Ausrede, die er je gehört hatte – und Poppy verdrehte auch gleich die Augen.
    »Na klar. Aber ist es hier drin vielleicht kalt? Nun lass dich mal nicht so hängen, ja?« Sie nahm ihre Mütze ab, und von der Reibungselektrizität standen ihr die Haare zu Berge, wie bei Bert dem Kater, wenn er erschrocken war. »Hast du dir heute schon das Video angeguckt? Wir haben ungefähr eine Fantastilliarde neue Klicks.«
    Er hatte keinen Zweifel, dass sie genau wusste, wie viele es waren – sie hatte sie verfolgt wie ein Analyst die Aktienkurse. Poppy Jones war nicht nur phänomenal talentiert, sie hatte auch etwas im Kopf, und in diesem Moment wurde ihm klar, dass sie auch die dritte notwendige Erfolgsvoraussetzung besaß – die eiserne Entschlossenheit, die in

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