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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Verletzung nachdenken – nicht ausgerechnet jetzt, wo er ohnehin von Minute zu Minute nervöser wurde.
    Warum hatte er sich bloß darauf eingelassen? Warum hatte er seine Kumpels so vor den Kopf gestoßen, dass die Band auf jeden Fall auseinanderbrechen würde, egal, was heute passierte? Und warum war er je auf die Idee gekommen, er könnte nach Crystal Palace zurückgehen?
    Reifen zischten auf dem nassen Asphalt, und dann kam Tams Mini von der Hanway Street um die Ecke gebogen. Als er anhielt, ging Andy um den Wagen herum, verstaute die Gitarre auf dem Rücksitz und stieg vorne ein.
    »Alles klar, Junge?«, fragte Tam und warf ihm einen besorgten Blick zu, während er den Gang einlegte.
    »Ja, alles easy.« Andy sah ihm nicht in die Augen.
    »Scheiß-Verkehr. Die Oxford Street an einem Samstag. Ich begreif nicht, wieso du immer noch in dieser Bruchbude hausen musst.« Tam plapperte nur mechanisch vor sich hin. Er unterließ es nie, darauf hinzuweisen, dass er nicht verstehe, warum Andy in dieser Wohnung blieb, und Andy antwortete jedes Mal, dass er sich einfach nichts Besseres leisten könne.
    Aber Tam hatte recht. Er könnte etwas in Hackney finden wie George, oder in Bethnal Green wie Tam und sein Lebensgefährte Michael, oder irgendwo anders, solange es nicht hier mitten im Zentrum von London lag. Aber die Wahrheit war, dass es ihm einfach gefiel, im Mittelpunkt des brodelnden Treibens zu sein. Und es gefiel ihm, dass er zu Fuß zu den Gitarrenläden in der Denmark Street gehen konnte, die ihn immer schon magisch angezogen hatten, seit er alt genug war, um allein mit dem Bus in die Stadt zu fahren.
    »Ich habe Platz für meine Gitarren und meine Katze«, sagte er.
    Tam grinste. »Aber die Katze musst du wahrscheinlich schon zusammenrollen, damit sie reinpasst. Versteh sowieso nicht, was du an dem Vieh für einen Narren gefressen hast.«
    »Bert ist mein Kumpel«, protestierte Andy. Er entspannte sich ein wenig bei diesem vertrauten Streitthema, und das war genau Tams Absicht gewesen. Tam, der zwei Deutsche Schäferhunde hatte, behauptete immer, mit Katzen nichts anfangen zu können, aber wenn er bei Andy in der Wohnung war, ertappte der ihn jedes Mal dabei, wie er den Kater heimlich hinter den Ohren kraulte.
    Andy hatte das winzige, zitternde Kätzchen eines Abends, als er spät von einem Gig nach Hause kam, mitten auf der Oxford Street gefunden. Es war niemand sonst in der Nähe gewesen, der hätte helfen können, und er hatte es nirgends sonst hinbringen können, also hatte Andy das arme Tier unter seine Jacke gesteckt und es in seine Wohnung mitgenommen. Aus dem winzigen Fellknäuel war inzwischen ein stattlicher Kater geworden, der die Farbe von Orangenmarmelade hatte, und Andy konnte sich ein Leben ohne ihn gar nicht mehr vorstellen.
    »Bist du sicher, dass deine Hand okay ist, mein Junge?«, fragte Tam, als sie auf der Waterloo Bridge über den Fluss fuhren.
    »Alles in Ordnung, Tam, ehrlich.«
    Danach ließ Tam ihn in Ruhe, und Andy war dankbar für die Stille. Er war müde, und nach einer Weile wäre er in dem warmen Auto fast eingenickt. Als er blinzelnd die Augen aufschlug, fuhren sie gerade den Gipsy Hill hinauf.
    Er setzte sich auf, und die Nervosität packte ihn aufs Neue, als sie Westow Hill erreichten und das Dreieck von Straßen, das den höchsten Punkt von Crystal Palace markierte. Das Studio war relativ neu, und er kannte es noch nicht, auch wenn er sich an die steile kleine Gasse erinnerte, die von der Westow Street abging. Er wandte den Blick ab, als sie von der Church Road abbogen und am White Stag vorbeikamen.
    Von der Westow Street bog Tam rechts ab. Sie rumpelten eine schmale Sackgasse hinunter und bogen am unteren Ende nach links auf einen kleinen Parkplatz ein. Im Westen fiel das Gelände in Richtung Streatham ab, das durch ein feines Gitterwerk von kahlen Ästen als Ansammlung grauer Dächer zu erkennen war.
    Auf der anderen Seite erhob sich ein kunterbuntes Durcheinander von Gebäuden, flankiert von einer Mauer mit den schrillsten Graffiti, die Andy je gesehen hatte. Nein, es waren gar keine Graffiti, es war ein Wandgemälde mit merkwürdigen Kreaturen in leuchtenden Primärfarben. Es sah aus, als wäre es von einem riesigen Alien-Kind gemalt worden, und der Gedanke entlockte ihm das erste Lächeln an diesem Tag.
    »Da gibt’s ja einen Gitarrenladen«, sagte er, als er das Schild entdeckte, das versteckt an der Backsteinfassade eines der Häuser hing.
    Tam entriegelte die Türen und

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