Wer Blut vergießt
während sie hinterherstapften.
»Ich hab sie im ›Troubadour‹ gehört. Du hast doch nicht etwa geglaubt, ich würde dich für so etwas einplanen, wenn ich nicht wüsste, dass sie eine ganz heiße Nummer ist? Sie ist was ganz Besonderes, ich sag’s dir. Ein verdammtes Wunderkind.«
Andys Erfahrungen nach hieß das wahrscheinlich, dass sie extrem verwöhnt war. Aber für eine Pfarrerstochter hatte sie ganz schön Mumm in den Knochen, das musste er zugeben. Mit zwanzig war er selbst schon so ziemlich mit allen Wassern gewaschen gewesen und hatte sich von niemandem dreinreden lassen, aber von dem sicheren und selbstbewussten Auftreten dieses Mädchens konnte er sich immer noch eine Scheibe abschneiden.
Ihre Sprechstimme allerdings, wenngleich nicht unangenehm, verriet sofort ihre Herkunft aus den gutbürgerlichen Home Counties, und er hoffte inständig, dass sie nicht in diesem hauchigen Kleine-Mädchen-Indie-Stil sang, bei dem sich ihm immer die Zehennägel aufrollten. Oder, schlimmer noch, mit so einem aufgesetzten Arbeiterklasse-Image wie Kate Nash. Wenigstens konnte man bei ihrem Akzent und ihrer zierlichen Gestalt davon ausgehen, dass sie ganz bestimmt nicht der x-te Adele-Klon war.
Sie erreichten die nächste Ebene und traten in einen Raum, der vollkommen anders war als das beengte Vorzimmer des Studios im Stockwerk darunter.
»Absolut cool«, sagte Poppy und sah sich um. Andy musste ihr beipflichten.
Der Raum war lang und offen, erhellt durch große Fenster mit Blick auf den baumbestandenen Hang im Westen. Es gab diverse Gitarrenverstärker, einen Ständer mit zwei Mikros, ein kleines Aufnahmegerät und am Fenster einen kleinen Flügel, in dessen schwarzem Lack sich der grau gesprenkelte Himmel spiegelte.
»Oh, fantastisch, Caleb. Danke!«, sagte Poppy und umarmte ihren Manager – eine Geste, die vollkommen natürlich wirkte. Er hätte ihr Lieblingsonkel sein können.
Sie streifte Jacke und Handschuhe ab und bückte sich dann, um ihren Gitarrenkoffer zu öffnen. Als sie das Instrument herausnahm, stieß Andy unwillkürlich einen leisen Pfiff aus. Es war ein bundloser Pastorius-Bass von Fender – ein Instrument, mit dem nur sehr versierte Musiker etwas anfangen konnten.
»Kannst du wirklich auf dem Ding spielen?«, fragte er.
Poppy hob die dunklen Brauen, die auffallend mit ihren orangefarbenen Haaren kontrastierten, und sah ihn streng an. »Wart’s nur ab, Gitarrero.«
Getroffen stichelte er zurück: »Wohl ein Weihnachtsgeschenk von deinem Daddy?«
Sie richtete sich auf, schlang sich den Riemen über den Kopf und schien sich einen Moment zu sammeln. Dann sah sie ihm direkt in die Augen und sagte ruhig: »Ich habe zwei jüngere Brüder und eine jüngere Schwester. Wir kommen zurecht, aber mein Vater ist Gemeindepfarrer der Church of England, und er könnte sich so ein Instrument niemals leisten. Ich habe meine ganze Schulzeit hindurch pickligen, pubertierenden Jungs Musikunterricht gegeben, um mir diesen Bass kaufen zu können, und ich habe ihn mir verdammt noch mal verdient. Also halt einfach mal die Klappe, okay?«
Sie wartete, und als er nichts erwiderte, nickte sie, als ob etwas zwischen ihnen geklärt worden wäre. Dann steckte sie ihren Fender an einem Verstärker ein und sagte: »Also, jetzt lass mal hören, was du draufhast, Gitarrero.«
4
Der Palast wurde von Sir Joseph Paxton entworfen, und nachdem die Weltausstellung im Oktober 1851 beendet war, hatte er die Idee, ihn als »Winter-Park und Garten unter Glas« in den Park von Penge Place in Sydenham zu verlegen … Penge Place, heute als Crystal Palace Park bekannt, gehörte einem Freund von Paxton, dem Eisenbahnunternehmer Leo Schuster.
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Nachdem der Leichenwagen eingetroffen war, überließ Gemma den Kriminaltechnikern das Feld und beauftragte DC Shara MacNicols mit der Vernehmung der Hotelangestellten. Als Shara protestieren wollte, sagte sie: »Oder würden Sie lieber die Benachrichtigung der Angehörigen übernehmen? Und noch etwas, Shara: Ich glaube, mit ein bisschen Nachsicht und Einfühlungsvermögen kommen Sie hier weiter. Ob das Hotel gegen irgendwelche Vorschriften verstoßen hat, interessiert uns im Moment weniger – jedenfalls, solange wir nicht wissen, was unser Mr Arnott hier gewollt hat.« Ein widerwilliges Nicken war die Antwort.
Melody überprüfte noch einmal die Adresse, die sie als Vincent Arnotts Wohnsitz ermittelt hatte. Dann wendete sie den Wagen und bog in den Fox Hill ein. Über die steil
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