Wer Blut vergießt
doch, ich glaube schon. Aber es wird nie mehr genau so sein wie früher, weder für ihn noch für mich. Und ich habe festgestellt, dass es so manches gibt, was mir an meinem neuen Leben gefällt. Mir ist klar geworden, dass ich mich immer um andere Menschen gekümmert habe und nie um mich selbst, und da muss ich noch lernen, einen guten Ausgleich zu finden. Aber jetzt erzähl mal«, wechselte sie geschickt das Thema, »was gibt’s bei dir Neues? Du bist an einem großen Fall dran, wenn ich das richtig verstanden habe. Und Duncan und die Kinder beschäftigen sich dieses Wochenende selbst? Duncan scheint ja ganz gut zurechtzukommen.«
»Zu gut, denke ich allmählich«, sagte Gemma und schob sich das letzte Stück von ihrem Plätzchen in den Mund. »Ich weiß, dass er sich bestimmt Gedanken darüber macht, wie es mit Charlotte weitergeht und wann er wieder zu arbeiten anfangen kann, aber er redet nicht darüber. Er ist immer gnadenlos gut drauf, und ich schwör’s dir, er macht noch irgendwann Jamie Oliver Konkurrenz. Die Menüs, die er abends auftischt, werden immer komplizierter, und wenn wir mal Pizza bestellen wollen, rümpft er nur die Nase.«
Hazel schenkte sich noch etwas Tee nach und rührte um, wobei sie ihr »Therapeutinnengesicht« aufsetzte, wie Gemma es insgeheim nannte.
»Ja, ich weiß, ich weiß«, sagte Gemma seufzend. »Er ist ein hochintelligenter Mann, der es gewohnt ist, in einem anspruchsvollen und abwechslungsreichen Job zu arbeiten und für alles die Verantwortung zu tragen. Er geht damit um, indem er sich vorbildlich um Charlotte kümmert und sich zum Gourmetkoch entwickelt. Ich hatte auch nicht erwartet, dass er zu Hause rumhocken und sich das Nachmittagsprogramm im Fernsehen reinziehen würde. Aber trotzdem, da ist irgendetwas …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Als Hazel eine Braue hochzog, fügte Gemma hinzu: »Ich werde mit ihm reden. Versprochen. Aber dieser Fall bereitet mir im Moment schon genug Kopfzerbrechen. Ich bin eigentlich sogar froh, dass Holly nicht hier ist. Vielleicht könntest du mir eine Einschätzung liefern. Inoffiziell.«
Hazel nickte und sagte: »Ich werde mein Bestes geben.«
Gemma schilderte den Mord und gab dann wieder, was sie über Vincent Arnott in Erfahrung gebracht hatten. »Ich werde einfach nicht schlau aus diesen Widersprüchen. Der Mann war offensichtlich sehr besorgt um seine Frau. Und augenscheinlich extrem penibel.« Gemma hielt inne, runzelte die Stirn und stellte ihre leere Teetasse aufs Tablett. »Na ja, dass er Frauen abgeschleppt hat, kann ich ja irgendwie verstehen … Aber die Fesselspielchen passen doch nicht in das Bild eines Mannes, der alles in seinem Leben mit einer solchen Akkuratesse kontrollierte.«
»Also, das ist gar nicht mal so ungewöhnlich. Das waren wahrscheinlich die einzigen Situationen, in denen er nicht alles unter Kontrolle haben musste. Die Erkrankung seiner Frau war vielleicht der Auslöser, der ihn veranlasste, seine lang gehegten Fantasien endlich auch auszuleben.«
Gemma starrte eine Weile in das Gasfeuer, während sie über Hazels Worte nachdachte, und wandte sich dann wieder zu ihr um. »Okay, auch das kann ich nachvollziehen. Aber sein Kanzleisekretär hat mir erzählt, Arnott habe Frauen nicht leiden können. Wie bringst du das mit der Sorge um seine Frau unter einen Hut?«
»Du hast sie als ›kindlich‹ beschrieben. Ist es denkbar, dass sie immer schon eher naiv und unbedarft war und dass das durch die Demenz nur deutlicher zutage getreten ist? Es ist möglich, dass sie nie eine sehr ausgeprägte sexuelle Beziehung hatten, selbst vor ihrer Erkrankung. Oder vielleicht auch gar keine.«
»Tom Kershaw – der Kanzleisekretär – hat gesagt, Arnott habe schon immer Affären gehabt, seit er ihn kannte, und soweit ich ihn verstanden habe, arbeiten sie schon fast zwanzig Jahre zusammen. Du willst also damit sagen«, fuhr Gemma nachdenklich fort, »dass Arnott in seiner Frau die unschuldige Jungfrau sah und in allen anderen Frauen Huren?«
»Das ist ebenfalls nicht so ungewöhnlich«, antwortete Hazel.
»Es wäre interessant zu erfahren, was für ein Verhältnis euer Mr Arnott zu seiner Mutter hatte.«
»Ja, das wäre interessant«, stimmte Gemma ihr zu. »Und vielleicht auch hilfreich, wenn er der Mörder wäre und nicht das Opfer. Aber wie die Dinge liegen, bin ich mir nicht sicher, ob es mich der Antwort auf die Frage näherbringen würde, wer ihn ermordet hat. Oder warum.«
Bevor er
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