Wer Blut vergießt
wusste, auch nicht für sich behalten. »Sie kam vorbei, um nach Doug zu sehen, als ich bei ihm war.«
»Tatsächlich? Wie geht es ihm?«
»Ich schätze, spätestens morgen wird er sich vor Langeweile die Haare ausreißen. Oder den Computer des Verteidigungsministeriums hacken. Aber worauf ich eigentlich hinauswollte: Melody versucht, die Musiker der Band ausfindig zu machen, die am Freitagabend in dem Pub gespielt hat, und sie sagte, sie habe die Kontaktdaten von deren Manager bekommen.«
»Nun ja, das ist doch nur logisch.« Gemma sah ihn verwirrt an.
»Sie hat dir nicht den Namen des Managers gesagt?«
»Ich glaube nicht. Aber er steht sicher in ihren Fallnotizen.«
»Du würdest dich daran erinnern, wenn sie ihn dir gesagt hätte«, erwiderte er. »Es ist Tam. Unser Tam. Louises Nachbar.«
Gemma starrte ihn eine Weile nur verständnislos an. »Du meinst Tam von Tam und Michael?«, sagte sie schließlich.
»Ebender.«
»Verdammt.« Sie hob ihr Weinglas, und diesmal nahm sie einen kräftigen Schluck.
»Es kommt noch besser.« Kincaid setzte sich ihr gegenüber. »Der Gitarrist, der am Freitagabend im Pub mit eurem Opfer aneinandergeraten ist – das war Andy Monahan.«
»Andy …« Gemma zog die Stirn in Falten, und dann weiteten sich ihre Augen. »Andy. Blonde Haare, ein bisschen schnodderig. Winkt mir immer zu und grinst, wenn ich bei Louise bin und ihn kommen oder gehen sehe. Meistens hat er seinen Gitarrenkoffer dabei.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum um alles in der Welt hat er sich mit Vincent Arnott in die Haare gekriegt? Und das heißt ja, dass es Tam war, der ihm ein Alibi für die Zeit des Mordes an Arnott verschafft hat.«
»Ziemlich missliche Situation, nicht wahr? Ich habe mir überlegt …« Kincaid zögerte. Er dachte an all das, was er nicht gesagt hatte, all die Dinge, die er Gemma nicht vorenthalten sollte – Louises Krankheit, die Möglichkeiten, die er für Charlotte erkundete … und seine Sorgen wegen des Jobs. Wegen des gottverdammten Jobs.
Er zuckte mit den Achseln. Er würde schon noch den richtigen Zeitpunkt finden.
»Was ist, Schatz?« Gemma beugte sich vor und berührte seine Hand. »Hast du etwas?«
Er ergriff ihre Hand. »Nein, alles in Ordnung. Aber … ich habe mich gefragt, ob du vielleicht möchtest, dass ich mal mit Tam rede. Einfach für den Fall, dass er irgendetwas weiß und nur noch nicht auf die Idee gekommen ist, es der Polizei zu erzählen.«
Melody hatte den Nachmittag damit zugebracht, zwischen Earl’s Court, Hackney und Bethnal Green hin und her zu pendeln, ohne dass sie irgendwo etwas erreicht hätte.
Sie hatte Nicks Mutter in der Wohnung der Familie angetroffen, die am »besseren« Ende von Earl’s Court an der Grenze zu Fulham lag. Nick sei in ein Café gegangen, sagte sie, um dort für seine Prüfung in Rechnungswesen zu lernen, aber sie wisse nicht genau, in welches. Melody hatte ihre Karte dagelassen. Sie hatte es auch auf Nicks Handy versucht und eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen.
Als sie in Richtung Hackney losfuhr, probierte sie die Handy-
nummer, die Tam Moran ihr von George, dem Schlagzeuger, gegeben hatte, doch wieder erreichte sie nur die Mailbox.
»Wieso legen die Leute sich Handys zu, wenn sie dann doch nie rangehen?«, murmelte sie. Vielleicht würde George sie ja zurückrufen, ehe sie dort ankam.
Doch als sie die Wohnung in der gepflegten Anlage östlich von Haggerston Park erreichte, war niemand zu Hause. Und auch von dem weißen Transit aus dem Überwachungsvideo war nichts zu sehen.
Sie wartete noch ein wenig in der Hoffnung, dass jemand auftauchen würde, doch nachdem sie den Motor abgestellt hatte, wurde es im Auto schnell kalt. Mit mürrischer Miene kramte sie in ihrer Handtasche nach der Karte, die Tam Moran ihr gegeben hatte. Er wohnte in der Nähe der Columbia Road, gar nicht weit von ihrem jetzigen Standort. Sie könnte einfach vorbeischauen, dachte sie sich. Tam hatte auf sie einen ruhigen, gesetzten Eindruck gemacht; gut möglich, dass er an einem Sonntagnachmittag zu Hause war.
Kincaid hatte ihr erklärt, dass Tam der Nachbar von Louise Phillips war, die mit Charlottes Vater eine Anwaltskanzlei gehabt hatte und jetzt Charlottes Erbe verwaltete.
»Und Andy Monahan?«, hatte sie gefragt. »Woher kennst du den?«
»Er war Zeuge bei einem Mord in der Nähe seiner Wohnung; bei diesem Fall, an dem wir letztes Frühjahr gearbeitet haben – die Geschichte mit Erika. Ich wusste nicht, dass es
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