Wer Boeses saet
breitgetreten wurde, machte ihm keine Angst. In weniger als einer Woche würde diese Sache von einer anderen brandaktuellen Nachricht abgelöst werden, ganz gleich wie weit sie mit ihren Ermittlungen gediehen wären.
Er sah auf die Uhr.
»Die Autopsie wird bald beginnen. Ich würde gerne vorher noch die Leiche sehen.«
Keine Reaktion. Devaux war nicht zur Zusammenarbeit bereit und zeigte ihm das ganz offen.
Schließlich legte Julia Drouot ein vermittelndes Wort ein.
»Ich kann ihn ja begleiten.«
Ihr Chef sah sie an, als spreche sie Chinesisch.
»Sie?«
»Ich sollte ohnehin ins gerichtsmedizinische Institut gehen. Sie hatten mich darum gebeten.«
Eine kurze Sekunde des Zögerns. Devaux saß in der Falle. Widerwillig gab er grünes Licht.
»Na gut. Gehen Sie zusammen hin. Aber es ist in Ihrem Interesse, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten.«
7
Man hatte die Leiche wieder zusammengesetzt.
Beine, Arme, Oberkörper und Kopf: Die Stücke waren in ihrer ursprünglichen anatomischen Lage auf einen Edelstahltisch gelegt worden, um ein wenig das Gefühl zu haben, dass es bei dieser Autopsie um ein menschliches Wesen ging.
Aber keiner hatte sich von dem Trick täuschen lassen. Der Mangel an Homogenität brachte die Stücke dieses makabren Puzzles aus dem Gleichgewicht, sodass die verschiedenen Teile Höhenunterscheide aufwiesen. Es war ein bisschen wie bei Ausgrabungsfundstücken, bei denen man die Knochen zusammensetzt, um sich ein Gesamtbild machen zu können. An allen Extremitäten konnte man die kühle Blässe eines Gelenks erkennen, das die Säge freigelegt hatte.
Die äußerliche Untersuchung, der die Polizeibeamten beigewohnt hatten, hatte keine Spuren von Schlägen oder Misshandlungen an den Tag gebracht. Keine durch eine Kugel verursachte Wunde, keine Platz-, Schnitt- oder Risswunden, wenn man von den Bissen einmal absah. Auf den ersten Blick sah es nach Hundebissen aus. Und die Tiere mussten ganz schön gewütet haben. Der obere Teil des linken Oberschenkels war nur noch eine Masse aus Muskeln, Fett und freigelegten Sehnen. Auf dem Oberkörper war die viel zu weiße Haut von Bissen durchlöchert. Der Unterleib war gefressen worden, selbst die Vagina und der Uterus. Beim Anblick dieses Breis aus Eingeweiden meinte der Rechtsmediziner, es werde sehr schwierig sein herauszufinden, ob eine Vergewaltigung stattgefunden habe oder nicht.
Und was das Gesicht anging … Unmöglich, eine Ähnlichkeit mit dem Foto zu finden, das Devaux ihnen gezeigt hatte. François war es, als betrachte er das Anatomieschaubild »Muskelsystem«, mit dem man den Erstsemestern die Grundlagen der Medizin einzutrichtern versuchte.
Als er das rechtsmedizinische Institut verließ, hatte der Profiler immerhin zwei oder drei Dinge begriffen. Zunächst einmal stand die Todesursache fest. Der Tod war aufgrund der massiven Blutung eingetreten, die durch das Durchtrennen der Oberschenkel- und Armarterien verursacht worden war. Die Wunden waren so regelmäßig und gerade, dass an die Verwendung einer Säge nicht mehr zu denken war. Es sah eher nach einer Kettensäge aus. Die Spuren an den Hand- und Fußgelenken bewiesen, dass man Lucie zuvor gefesselt hatte.
Außerdem kannte François jetzt den exakten Todeszeitpunkt. Ein Uhr in der Nacht von Sonntag auf Montag. Die Untersuchung der Körperflüssigkeiten, der Temperatur und der Leichenstarre ließ hinsichtlich des Todeszeitpunkts keine Zweifel offen.
Aber vorläufig war dies nichts weiter als eine Schlussfolgerung. Es war denkbar, dass das Gesicht als Letztes abgenommen wurde. Die Hiebe waren zwar sehr grob ausgeführt worden, setzten aber die vollkommene Reglosigkeit des Opfers voraus. Wenn man von einer Verabreichung von Betäubungsmitteln absah, an die François angesichts der brutalen Gewalt, mit der hier vorgegangen worden war, nicht glauben mochte, konnte nur der Tod eine derartige Passivität gewährleisten.
Sie saßen wieder in dem Touareg und hatten die Heizung voll aufgedreht. Die Außentemperatur schwankte um die fünf Grad, es war noch kälter als im Leichenschauhaus. Kaum hatte Julia sich gesetzt, stellte sie ihm auch schon die Frage, die ihr auf der Zunge gelegen hatte:
»Wie denken Sie über den Fall?«
Die Frage war bewusst ungenau. Hatte sie von ihrem Chef Anweisung erhalten? Marchand hielt sich auch weiterhin bedeckt und sagte bloß:
»Nichts.«
Ein angedeutetes Lächeln.
»Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass der Gedanke an einen Serienmörder Ihnen noch
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