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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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zufriedenzustellen. Sie schwiegen sich an, keiner machte den ersten Schritt. Sie tasteten einander ab, einer vorsichtiger als der andere. Trotz dieser Zurückhaltung, oder vielleicht gerade deshalb, hatten sie irgendeine Art von Band geknüpft.
    Plötzlich tauchten nach einem Kreisverkehr die Festungsmauern des Papstpalastes auf. Julia fragte erstaunt:
    »Wo wollen Sie denn hin?«
    François, der sich ganz auf das Gespräch konzentriert hatte, fuhr schon seit einer Viertelstunde, ohne auf die Richtung zu achten. Unbewusst war er den Schildern gefolgt, die ihn ins Stadtzentrum zurückbrachten.
    Er antwortete ohne Umschweife:
    »Zum Friseursalon.«
    »Dem des Opfers?«
    »Genau.«
    »Geben wir nicht Devaux vorher Bescheid?«
    »Nein.«
    Sie verzog lächelnd die Mundwinkel.
    »Das wird ihm nicht gefallen.«
    »Ich nehme alle Schuld auf mich.«
    »Wie Sie meinen. Aber ich warne Sie: Wenn das in die Binsen geht, sag ich, Sie hätten mich gezwungen.«
    8
    Sie gingen durch die Altstadt.
    François wollte sich ein Bild des Opfers machen, wollte seine Gewohnheiten und wichtigsten Interessen kennenlernen. In einem von zwei Fällen wählte der Täter sein Opfer aus seinem eigenen Umfeld: dem Freundeskreis, den Bekannten und Nachbarn …
    Um eine erste Vorstellung zu bekommen, hatte der Kommissar beschlossen, Lucies Arbeitskollegen zu befragen. Er hatte sich gesagt, dass man sich im Alter von siebzehn Jahren doch eher seinen Kollegen als den eigenen Eltern anvertraut.
    Nach der klinischen Atmosphäre im Rechtsmedizinischen Institut taten ihm die Farben im Touristenviertel gut. Sie waren wie eine kurze Verschnaufpause in einem Fall, der schwierig zu werden drohte.
    Im Inneren der Festungsmauern hatte Avignon sich seinen rauen, mittelalterlichen Charme bewahrt: imposante Mauern, durchbrochene Arkaden, Bauwerke aus behauenem Stein. In dieser Altstadt gab es überall etwas zu bestaunen. Versteckte Brunnen in den Winkeln der nur zu Fuß begehbaren Sträßchen, säulengeschmückte Toreinfahrten, von mythologischen Monstergestalten gekrönte Giebel. Die ganze Stadt war ein Monument, das man unter den höchsten Schutz des kolossalen Papstpalastes gestellt hatte.
    Julia führte sie in ein Labyrinth aus Gässchen. Alles war sehr beengt. Überall Schatten. Die Häuserfassaden sahen einander an wie Porzellanhunde, waren einander so nah, dass man den Eindruck hatte, man könnte die Gassen überqueren, indem man von Dach zu Dach sprang.
    Schließlich gelangten sie auf einen kleinen, sonnigen, mit Läden und Restaurants bestückten Platz. Der Friseursalon war leicht zu finden: Er war eine Art metallbewehrtes Aquarium, in dessen Innern Gestalten in weißen Polohemden herumeilten.
    Julia drückte die Tür auf. Es roch nach Spülungen, Cremes und Haarspray. Die Luft war sehr trocken, es gab sanfte Musik und Plasmabildschirme. Die Kunden nutzten die Mittagszeit, um sich ein bisschen verwöhnen zu lassen.
    Hinter einer Glastheke stand sich eine kleine Dicke mit wilder Sturmfrisur die Beine in den Bauch und lächelte sie an.
    »Guten Tag. Haben Sie einen Termin?«
    Die Ermittlungsbeamtin hielt ihr den Polizeiausweis hin.
    »Leutnant Drouot. Kriminalpolizei. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen zu Lucie Barmont stellen.«
    Bei den Worten verzerrte sich ihr Gesicht.
    »Die Arme … Schrecklich, was ihr passiert ist.«
    »Schrecklich, ja …«
    »Soll ich Monsieur Marc holen?«
    »Wen?«
    »Meinen Chef. Er ist in seinem Büro, direkt über uns.«
    François mischte sich ein.
    »Wir werden ihn später sprechen. Kannten Sie das Opfer?«
    »Nicht wirklich … Sie arbeitete zwar schon lange hier, aber man hat nicht so oft die Möglichkeit, ein Schwätzchen zu halten. Wir müssen uns um die Kunden kümmern … Fragen Sie Stephen, ich glaube, die beiden haben sich nach der Arbeit manchmal getroffen.«
    Sie zeigte auf einen langen dünnen Mann hinten im Saal. Er stand hinter einer Dame mit graublauem Haar, in dem Aluwickler steckten, und rieb sich den Rücken.
    »Würden Sie ihn bitte holen?«
    Die junge Frau gehorchte. Nach kurzem Getuschel, bei dem immer wieder besorgte Blicke herübergeworfen wurden, kam der Friseur zu ihnen.
    »Sie haben nach mir gefragt?«
    Er hatte eine affektierte Art zu sprechen, einen blonden Zopf, der von einem Band zusammengehalten wurde, außerdem hatte er Wimperntusche aufgetragen.
    Der Kommissar reichte ihm die Hand.
    »Guten Tag. Sind Sie Stephen?«
    »Der bin ich, ja.«
    »Ich heiße François Marchand. Ich leite zusammen

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