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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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wird.«
    »Und diesmal wird er sich dann die Vergewaltigung nicht verkneifen.«
    »Wahrscheinlich nicht. Es ist traurig, das so sagen zu müssen, aber für den Mörder wäre es bestimmt die beste Art, das Objekt seiner Phantasie zu besamen und das Ritual zu Ende zu führen.«
    Julia nickte. Die Beweisführung hatte sie überzeugt, was in gewisser Weise den Kommissar in seiner Meinung bestätigte. In diesem Tätigkeitsfeld gab es niemals Sicherheit. Man arbeitete mit Abstrahierungen. Was in so einem Kopf, vor allem in einem kranken, vor sich ging, konnte für einige Überraschungen sorgen. Sie fuhren an einer Reihe von Autobahnkreuzen vorbei. Die Stadt entfernte sich, Felder tauchten auf. Schneefelder machten einen Flickenteppich aus diesen gelblichen Weiten und erinnerten daran, dass sie sich in beträchtlicher Höhe befanden.
    »Sie haben auch die Tatzeit in einen Zusammenhang gebracht. Ich nehme an, Sie haben eine These dazu aufgestellt?«
    Julia war mit ihren Fragen noch nicht am Ende. François hatte von mehreren Übereinstimmungen gesprochen, und sie wollte alles verstehen. Aber die Analyse hatte auch ihre Grenzen.
    »Was das angeht, habe ich keinen blassen Schimmer.«
    »Und die Opfer?«
    Gegenwärtig gab es nur eine mögliche Erklärung.
    »Sie sind jung. Etwa gleich alt. Man könnte das so interpretieren, dass der Täter sich zu noch im Werden befindlichen Wesen hingezogen fühlt. Zu solchen, die noch transformierbar sind, die noch vollkommen werden können.«
    »Wie bei den Pädophilen?«
    In ihrem Tonfall lag ein klein wenig Wut. Wie bei Lucie, als Julia entdeckte, dass das Mädchen ihren Körper an ältere Männer verkaufte. Das war jetzt nicht mehr zu ignorieren. Was war ihr passiert? Welches Drama verbarg sich in den Schubladen ihrer Vergangenheit?
    François beschloss anstandshalber, nicht weiter nachzubohren.
    »Nicht in unserem Fall. Es geht hier eher um das Bedürfnis, sich identifizieren zu können. Die Jugend ist eine Phase, in der ein Individuum auf der Suche nach sich selbst ist. Die sexuelle Identität liegt da noch nicht so ganz fest. Sie ist noch unbestimmt wie bei unserem Mörder.« Sie machte den Mund auf, um zu antworten, aber dann besann sie sich eines Besseren. Hatte sie in François’ Gedanken gelesen? Hatte sie an seiner zitternden Stimme gemerkt, dass er ihr Leid verstanden hatte? Auch hierauf ging der Kommissar nicht weiter ein.
    Sie fuhren durch ein schmales Tal. Jeder zurückgelegte Kilometer brachten ihnen die Berge immer näher. Die Schieferfelsen, hoch wie Mauern, beobachteten sie mit erloschenem Auge, als seien sie schlafende Riesen.
    Am Ortsausgang eines Dorfes kündigte ein Schild die Industriezone von Basse-Jarrie an. Die Straße lag wie eine lange gerade Linie vor ihnen, gesäumt von verlassenen Gebäuden. Alte Manufakturbetriebe, verlassene Fabriken, Backsteinkuben, durchlöchert von viereckigen Fenstern, die meisten davon eingeschlagen.
    Das Auto fuhr langsamer. Laut Kellermanns Angaben war es bis zur Fabrik nicht mehr weit.
    19
    Riesige Rohre, wie ein Venengeflecht, das ein metallenes Herz versorgt. Gusseiserne Blöcke, der harte Stein geborsten, rissig vom Frost. Ein riesiger Schlot, der mit seiner Spitze den Himmel kratzte und aussah wie ein ins Unendliche deutender Zeigefinger. Die hinter Gittern und Stacheldraht verschanzte Verbrennungsanlage sah aus wie eine mutierte Spinne, die bei einem plötzlichen Wintereinbruch in ihrem Panzer erstarrt war. François fiel ein langes, oben mit Dornen bewehrtes Eingangstor auf. Es war durch eine Kette und ein Vorhängeschloss gesichert. Der Ort war besser geschützt als eine Burg. Der Kommissar fragte sich, wie es dem Mörder gelingen konnte, sich Zugang zu verschaffen. Vor allem mit dem Opfer auf dem Rücken.
    Zwei Polizeiwagen versperrten den Eingang. Marchand ließ das Fenster herunter und zeigte seinen Ausweis. Man gab ihm den Weg frei. Er fuhr den Touareg langsam aufs Gelände.
    Sie brauchten weniger als zehn Sekunden, um sich zurechtzufinden. Am Ende einer geteerten Allee hatte sich unter der eisigen Sonne eine Gruppe Menschen gebildet. Polizisten in Uniform, ein paar Zivilisten sowie drei oder vier weitere Gestalten, die sich über den Zementboden beugten. Sie bewegten sich langsam und bedächtig, auf dem Rücken die schwarzen Lettern der Kriminaltechnik.
    François parkte ein paar Meter weiter. Er knallte die Autotür zu und ging zu ihnen. Julia folgte ihm, eingehüllt in ihren Anorak. Sofort eilte ihnen eine brünette

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