Wer Boeses saet
angekommen. Die Anstrengung hatte ihre Geister erst so richtig geweckt. Sie lächelte.
Der Grenobler leuchtete mit seiner Lampe den Raum ab. Sie befanden sich im Inneren eines Zylinders aus Sichtbeton, dessen Boden aus einer Platte aus Vollmetall bestand, ähnlich wie in einem Tresor. Der Lichtstrahl beleuchtete einen grauen Fleck, der von Ferne an eine menschliche Gestalt erinnerte. Ein Kreidestrich, wie von Kinderhand gezeichnet, umgab ihn.
»Hier hat die Leiche gelegen.«
Julia kniete nieder und fuhr mit dem Fingern über das verkohlte Eisen. Anschließend schnupperte sie daran und verzog angeekelt das Gesicht.
»Benzin und Grillfleisch.«
»Es ist auch Blut dabei«, ergänzte Aubert.
Er richtete den Lichtkegel auf das Zentrum der Zeichnung, auf die Stelle, an der der Brustkorb des jungen Pierre gelegen haben dürfte. Es funkelte schwarz.
»Die Messerstiche wurden ihm erst nach dem Verbrennen zugefügt. Das Metall war heiß, und das Blut hat gekocht. Aber es ist nicht verbrannt.«
»Dann gibt es logischerweise auch keine Fingerabdrücke.«
»Gar nichts.«
Der Mörder hatte keinerlei Spuren hinterlassen. Und er hatte keinen einzigen Fehler gemacht. Wie in dem Waldstück in der Nähe des Ockersteinbruchs. Beim ersten Mal hatte der Schlächter sich einen gut besuchten Ort ausgesucht, wohlwissend, dass sich seine Spuren in denen der anderen verlieren würden. Hier hatte er sich eine Welt aus Beton und Metall ausgesucht. Eine sterile Umgebung, in der nichts eine Spur hinterlassen würde. Dieser Verrückte wusste genau, was er zu tun hatte, welche Risiken es gab und wie er sie ausschalten konnte.
Marchand fragte den falschen Junkie:
»Könnten Sie mir eine Taschenlampe geben?«
Mit einer kreisartigen Bewegung leuchtete er den Raum aus. Es gab nur glatte, leere Wände und keinen Hinweis auf den Mörder. François reichte Aubert die Lampe und versuchte, seine Frustration zu verbergen.
»Danke. Ich habe genug gesehen.«
Nacheinander kletterten sie wieder zurück an die frische Luft. Die Männer waren immer noch auf der Jagd nach Beweismaterial und machten sich in der Nähe des Zauns zu schaffen. Als man sie herauskommen sah, hob einer von ihnen die Hand.
»Leutnant!«
Sie liefen zu ihm hin. Der Mann, ein Brillenträger, dessen Haar schon schütter wurde, kniete auf einem dünnen Streifen Unkraut. Er deutete auf den Boden und grinste breit.
»Schauen Sie sich das mal an.«
François sah nichts als Grünzeug. Julia dagegen hatte verstanden.
»Ist er hier entlanggegangen?«
Der Techniker nickte.
»Das ist der einzige Ort, an dem es keinen Stacheldraht gibt. Er muss hier hereingekommen sein, indem er über den Zaun geklettert ist. Die Gräser sind von seinem Gewicht zerdrückt. Man sieht deutlich den Unterschied zu den anderen.«
Tatsächlich. Wenn man es genau betrachtete, sah man die Abdrücke. Die Frage, die Marchand seit seiner Ankunft beschäftigt hatte, war jetzt beantwortet. Zumindest teilweise. Er wusste, wie dieser Kranke auf das Gelände eingedrungen war. Aber bei dem Ganzen blieb noch eine Einzelheit ungeklärt.
»Und das Opfer? Ist das auch gesprungen?«
»Es gibt nur eine Spur. Und die ist so tief, dass ich eher sagen würde, er trug es über der Schulter.«
»Oder auf dem Rücken«, schlug Julia vor, »mit Gurten und einem Schulterriemen festgeschnallt.«
Der Kommissar betrachtete verdutzt das Gittertor. Zwei Meter hoch, so gut wie nichts zum Festhalten, da musste man schon verdammt stark sein, um das hinzukriegen.
»Können Sie uns einen Fingerabdruck liefern?«
Der Mann rückte seine Brille zurecht. Er holte eine kleine Fahne aus seiner Tasche und steckte sie ins Gras.
»Wir werden es versuchen.«
20
Die reine Bergluft.
Ein billiges Klischee, das mit Grenoble rein gar nichts zu tun hatte. Umgeben von verschneiten Bergmassiven, köchelte die Stadt in Kohlendioxyddämpfen und Industrieabgasen vor sich hin. In einigen Straßen war die Konzentration an Autoabgasen so hoch, dass François die Belüftung im Wagen abschalten musste.
Auf der mit Autos vollgestopften Verkehrsader kamen sie nur im Schneckentempo voran. Sie war vierspurig, gesäumt von zwei parallelen Seitenstreifen und einer Platanenreihe. Hin und wieder gab es ein paar prächtige Fassaden in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, alle in edelster Ausführung. »Cours Jean-Jaurés« stand auf dem marineblauen Schild, das die Stadtverwaltung aufgestellt hatte. Der Profiler wusste, was sich hinter diesen Mauern verbarg:
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