Wer Boeses saet
hingezogen fühlen. Stattdessen stieß er auf eine junge Klientel, eher wohlhabend, die auf einem mit Sägemehl bestreuten Boden an Holztischen saß und diskutierte. Das Durchschnittsalter dürfte bei zwanzig Jahren liegen. Keine Zigaretten – das Verbot wurde beachtet –, aber alle tranken literweise Bier. Eine Stereoanlage spuckte südamerikanische Musik aus und übertönte damit den Gesprächslärm.
Der Kommissar suchte den Raum ab. Pater Édouard hatte den Jugendlichen treffend beschrieben: ein großer, athletischer Brünetter, ziemlich gut aussehend, der eine schwarze Lederjacke trug. Natürlich eine Perfecto, mit einem Wappen auf dem linken Revers, das ein geflügelter Totenkopf zierte.
François sah ihn sofort. Er lümmelte auf einer mit Kunstleder bezogenen Bank, einen Bierkrug in der rechten Hand, und redete auf eine Rothaarige ein, die buchstäblich an seinen Lippen hing.
Die Polizeibeamten bahnten sich einen Weg zu ihm. Marchand musste fast schon schreien, um den Lärm zu übertönen.
»Rémi Cazenove?«
Der Jugendliche drehte nicht einmal den Kopf. Er machte ihm ein Zeichen, dass er beschäftigt war. Julia hielt ihm ihre Karte unter die Nase.
»Na, hör mal. Hat man dir nicht beigebracht, wie man mit Erwachsenen umgeht?«
Er sah zu den Bullen hoch, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, ohne die geringste Beunruhigung zu zeigen. Er hatte noch kindliche Züge, aber sein Gesicht war bereits das eines Mannes. Gebaut wie ein Schrank, schlecht rasiert, eine gerade Nase. Ein Kerl im Stil von Boss oder Armani. Und dazu ein provozierendes Lächeln …
»Hab ich was getan?«
»Wir werden’s dir erklären«, antwortete Julia.
Zu seiner Freundin sagte sie:
»Lässt du uns mal allein?«
Die junge Frau nickte und machte sich augenblicklich aus dem Staub. François setzte sich auf ihren Platz, während seine Kollegin vor Cazenove Platz nahm.
»Was trinkst du da?«, fragte Julia.
»Sieht man das nicht?«
»Bist du denn schon alt genug?«
»Achtzehn Jahre alt und kerngesund. Wollen Sie meine Papiere sehen?«
Julia verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich auf dem Stuhl zurück.
»Bist ein kleiner Komiker, was?«
Cazenove lachte höhnisch. Diese Bezeichnung gefiel ihm offenbar.
»Was wollen Sie von mir?«
»Mit dir über Pierre Jacquet reden.«
Jetzt wirkte der junge Mann schon nicht mehr ganz so selbstsicher.
»Üble Geschichte.«
»Du sagst es.«
»Und was geht mich das an?«
»Wir kommen gerade vom Gymnasium. Pater Édouard hat uns euer kleines gegenseitiges Hilfesystem erläutert. Die Guten, die sich um die Verlierer kümmern. Du verstehst, was ich meine?«
»Nein.«
»Bist du so blöd, oder machst du das extra? Jacquet hat mit dir Russisch gepaukt. Wir hätten gern, dass du uns erzählst, wie das so ablief.«
Er zuckte die Schultern und trank einen Schluck Bier.
»Wir gingen abends in der Studierzeit alles noch mal zusammen durch.«
»Jeden Abend?«
»Fast.«
»Und sonst?«
»Nix sonst.«
»Hast du dich nicht draußen mit ihm getroffen?«
Verächtliches Lächeln.
»Wir hatten nicht gerade dieselben Interessen.«
»Und was waren das bei ihm für Interessen?«
»Reli, aber bis zum Abwinken, ’ne echte Betschwester.«
Sie traten auf der Stelle. Außerhalb der Schule hatten die beiden Jugendlichen nicht viel gemeinsam. Aber François war sich sicher, das der reiche Schnösel den jungen Katholiken fasziniert haben musste. Er stand für die rebellische Freiheit, von der Pierre heimlich träumte.
Er mischte sich in ihr Gespräch ein.
»Hier fühlst du dich zu Hause, was?«
Sein Gegenüber warf ihm einen spöttischen Blick zu.
»Das kann man wohl sagen.«
»Und ich nehme mal an, du kennst hier alle.«
»Ja, so gut wie.«
»Die Mädchen sind gar nicht so übel. Wo kommen die her?«
»Vom Charles-Péguy.«
»Ein Gymnasium?«
»Das Paradies.«
»Warum denn das?«
»Weil das eine gemischte Schule ist. In Saint-Jo ist das doch voll Scheiße. Da gibt’s nur Kerle.«
»Hatte Jacquet was übrig für Mädchen?«
Ein Lachen schüttelte den Adonis.
»Glauben Sie etwa, der war schwul?«
»Beantworte meine Frage.«
»Der war noch Jungfrau. Aber er hätte schon gern mal eine vernascht.«
»Hat er mit dir darüber gesprochen?«
»Ja. Er hat mich sogar angefleht, ihn mal hierher mitzunehmen.«
»Und was hast du gemacht?«
»Mir war das ein bisschen peinlich, aber was soll’s … Ich hab’s gemacht. Einmal. Damit er mir nicht länger das Ohr damit
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