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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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Kabuff. Während der Portier telefonierte, wurde François sich dessen bewusst, dass er ein bisschen hart mit ihm umgesprungen war. Seinem Tonfall war die Anspannung anzuhören, der er seit achtundvierzig Stunden ausgesetzt war.
    Unauffällig ließ er die Hand in die Innentasche seiner Weste gleiten. Die Bonbonschachtel war immer noch da, randvoll mit Xanax. Die Berührung der Dose entspannte ihn ein wenig. Er musste sich eingestehen, dass diese Ermittlung Ängste weckte, die ihn auf Schritt und Tritt begleiteten. Weil die Opfer Jugendliche waren. Weil seine Tochter im gleichen Alter war. Er konnte gar nicht umhin, eine Verbindung herzustellen und all dieses Grauen auf sie zu projizieren. Er hatte schon Diane verloren. Charlotte war alles, was ihm noch geblieben war.
    Der Portier tauchte wieder auf.
    »Pater Édouard wird Sie empfangen.«
    »Wer ist Pater Édouard?«
    »Der Oberaufseher. Wenn Sie mir bitte folgen würden …«
    Sie durchquerten einen verlassenen Hof, in dem Platanen Spalier zu stehen schienen. Er war von wuchtigen Gebäuden umgeben, die im Halbschatten lagen.
    Über eine Reihe von Treppenstufen gelangten sie zu einem dieser Gebäude. Eine sechs Meter hohe Decke, Steinarkaden, die Mauern nackt, wenn man von dem riesigen Holzkreuz absah, das in der Mitte hing. Das Bauwerk vermittelte aufgrund seiner Architektur die Vorstellung eines allmächtigen Gottes, einer Kraft, der man sich nur unterwerfen konnte.
    Eine lange Treppe wand sich rund um einen Treppenschacht. Es gab keinen Aufzug, aber im vierten Stock einen langen Gang mit vielen Türen. Die fünfte Tür war die richtige. Der Portier klopfte dreimal verhalten an und machte dann auf dem Absatz kehrt.
    »Treten Sie ein!«
    Ein dünnes Stimmchen, das aber eine unangreifbare Autorität besaß und bestens zu dem Mann passte, den François beim Betreten des Büros sah. Klein, hager, in eine enge Soutane gezwängt. Nicht älter als fünfunddreißig, aber in gewisser Weise auch zeitlos. Wie die Disziplin, die er verkörperte. Er stand in der Mitte des Zimmers und schien auf sie zu warten.
    »Sind Sie von der Polizei?«
    »Kommissar François Marchand von der OCRVP , der Operationseinheit zur Bekämpfung von Gewalt gegen Personen. Und Julia Drouot von der Kripo …«
    »Kann ich bitte Ihren Ausweis sehen?«
    Die Einführungsworte brachten das Eis nicht gerade zum Schmelzen. Julia kam, ohne zu murren, seiner Bitte nach. Der Kommissar tat so, als fände er das normal.
    Der Pfarrer sah sich die amtlichen Papiere genau an. Wahrscheinlich machte er das immer so, wenn er einen Schüler in die Enge treiben wollte. Dann hob er den Blick.
    »Was wollen Sie?«
    Der Ton gefiel dem Pofiler immer weniger. Er musste an sich halten, um höflich zu bleiben.
    »Kannten Sie Pierre Jacquet?«
    »Selbstverständlich.«
    »Sie wissen, was geschehen ist?«
    »Wer weiß das nicht?«
    Die Antworten waren neutral, vielleicht ein klein wenig ungeduldig. Marchand konnte keinerlei Mitgefühl darin erkennen.
    »Wir versuchen, etwas mehr über seinen Charakter in Erfahrung zu bringen. Wir haben uns gesagt, dass …«
    »Sie nehmen wahrscheinlich an, dass er nicht zufällig ermordet wurde?«
    »Ich glaube, dass …«
    »Und Sie sagen sich, dass es da vielleicht eine Verbindung zu unserer Einrichtung gibt?«
    Jetzt war es passiert: Argwohn, Gift und Galle, in Aussagesätzen formulierte Fragen. Für den Priester bedeuteten die beiden Polizeibeamten nichts Gutes. Die Ermittlung konnte sein Gymnasium in Misskredit bringen, was zu einer teuflischen Kettenreaktion führen könnte. François hätte ihn beruhigen können, aber er hatte keine Lust dazu.
    »Hören Sie mir gut zu, Pater. Wir sind hier im Rahmen einer kriminalpolizeilichen Ermittlung tätig, und dabei sind wir diejenigen, die die Fragen stellen. Daher gilt: Entweder Sie halten sich an unsere Spielregeln, oder ich muss Sie aufs Kommissariat vorladen.«
    Der Geistliche wurde steif wie ein Stock. Normalerweise klopfte er den anderen auf die Finger. Er reagierte aufbrausend.
    »Wollen Sie mich einschüchtern?«
    »Das können Sie sehen, wie Sie wollen.«
    Ein kurzer Moment des Schweigens, in dem er mit sich zu Rate ging. Dann zischte er selbstbewusst:
    »Ich glaube nicht, dass Sie in Ihrer Position hier irgendwelche Forderungen stellen können, Kommissar Marchand. Sie befinden sich auf Privateigentum, und soweit ich weiß, haben Sie keinen Durchsuchungsbeschluss. Sie ermitteln hier in einem neuen Kriminalfall, also stehen Ihnen zwei

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