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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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denen, die sich mit der Zeit beilegen ließen. Es ging um eine maghrebinische Einwanderin, die in einem Keller in La Courneuve gefunden wurde, durch Säure entstellt und zu Tode geprügelt. Das gehörte zu den Bildern, die François nicht vergessen konnte.
    Als der Verdacht sich gegen einen der kleinen Bandenführer aus der Vorstadt richtete, beschloss Forestier, ihm die Ermittlung aus der Hand zu nehmen. Das Vorrecht des Ranghöheren … Der Profiler hätte sich damit abfinden können, hätte er nicht den wahren Grund für diese Intervention entdeckt. Der Verdächtige dealte für Jouve. Und spielte eine ganz wesentliche Rolle in seinem kleinen Business, dem er auf keinen Fall schaden wollte. François hatte begonnen, sich vehement zur Wehr zu setzen, und man hatte ihm freundlich zu verstehen gegeben, dass es besser wäre, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
    »Sind Sie fertig? Können wir weitermachen?«
    Hénon spürte, dass etwas in der Luft lag. Es war besser, man kürzte dieses Vorgeplänkel sofort ab.
    »Ich fasse zusammen«, sagte er, während François Platz nahm. »Das Opfer heißt Justine Crémant. Sechzehn Jahre alt. Schülerin am Gymnasium Henri- IV . Sieh mal hier. Wir haben uns ein Foto besorgt.«
    François nahm das Porträtfoto entgegen, das der Polizeidirektor ihm reichte. Eine junge Frau lächelte ins Objektiv. Sie hatte ein Madonnengesicht, das von schwarzem Haar mit Pagenschnitt umrahmt wurde. Große, ein wenig schmale Augen, in denen der ehemalige Psychoanalytiker die Stigmata des Unglücks wahrnahm. Es war eine Distanz, eine Entsagung darin zu lesen. Diese Augen schrien förmlich nach Hilfe.
    Er legte die Aufnahme wieder zurück und fragte:
    »Hast du mir nicht gesagt, sie wohne in Bagnolet?«
    »Was ändert das?«
    »Dann hätte sie doch dort auch zur Schule gehen müssen, oder nicht?«
    »Ihr Eltern arbeiten in den Medien. Sie hatten die Mittel, sich ein Loft in Bagnolet und eine Zweitwohnung im siebten Arrondissement zu leisten. Gut, machen wir jetzt weiter, oder willst du auch noch ihren Kontostand erfahren?«
    Der Polizeidirektor stand unter Hochdruck. War Forestiers Anwesenheit daran schuld? Oder die Tatsache, dass der Fall allmählich eine Nummer zu groß für ihn wurde? François ließ die Sache auf sich beruhen.
    »Machen wir weiter.«
    »Heute Morgen fand die Autopsie statt. Der Mörder verpasste dem Mädchen mehrere Messerstiche, dann zertrümmerte er ihren Schädel mit einem Schürhaken. Sie war bereits tot, als er sie weiter traktierte.«
    »Nicht zu fassen!«
    »Wir haben sechs Schnitte im Thorax gefunden, sieben Zentimeter lange Schnitte. Sie gingen bis zur Wirbelsäule durch. Es wurde keine gewöhnliche Klinge verwendet. Vielleicht ein Bajonett, ein Kampfdolch, eine Lanze … Den Schürhaken haben wir am Tatort gefunden, aber von der Stichwaffe gibt es keine Spur.«
    Ein Mord in zwei Akten. Wie bei Lucie. Wie bei Pierre.
    »Wurde sie vergewaltigt?«
    »Nein.«
    Für ihre Ermittlung war das eine niederschmetternde Nachricht. Sie widersprach all den Mutmaßungen, die François angestellt hatte, und schwächte seine Theorie. Trotzdem ließ er Hénon weiterreden.
    »Expertenteams haben das Loft bis in den letzten Winkel abgesucht. Nicht ein Fingerabdruck, nicht ein Haar. Einfach nichts.«
    Immer noch keine Spur. Wie in den ersten beiden Fällen. Forestier ergriff wieder das Wort.
    »Ein Einbruch hat nicht stattgefunden. Was das heißt, brauche ich dir nicht zu erläutern. Entweder war die Tür nicht verschlossen, oder der Täter kannte sein Opfer. In beiden Fällen hat er es überraschend mit dem Messer angegriffen. Wir haben keine Knebelspuren gefunden, weder an den Handgelenken noch an den Knöcheln.«
    François hatte bereits die Antwort darauf.
    »Er kannte sein Opfer.«
    Der Polizist mit Krawatte zog eine Braue hoch.
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    Stille. Seine Antwort klang so überzeugt, dass alle etwas irritiert wirkten.
    »Lass hören«, sagte Hénon.
    François deutete mit dem Kinn zu Forestier.
    »Weiß er über den Rest Bescheid?«
    »Falls es dir entgangen sein sollte, wir arbeiten in einem Team zusammen. Also mach schon. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Der Profiler fasste seine Schlussfolgerungen zusammen. Sprach über die Ritualisierung der Morde, das Gesamtbild, das sie im Hinblick auf die Erde, die Wiedergeburt, die Seelenwanderung ergaben. Auch über die Vorstellung von einem Kreislauf, der noch nicht abgeschlossen war. Dann sprach er über seine Hypothese, es könnte sich

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