Wer Boeses saet
finden.«
Wortlos stand der Profiler auf.
»Sonst noch etwas?«
Hénon wollte die Versammlung genauso wenig fortsetzen wie er.
»Ist in Ordnung, verschwinde. Und halte mich auf dem Laufenden, sobald du etwas mehr darüber in Erfahrung gebracht hast.«
François verabschiedete sich mit einem Nicken.
»Ja, Patron .«
32
Eine lange, düstere Avenue.
Steingraue Mietshäuser, niedergedrückt von einem bleiernen Himmel. Regen übersprüht mit winzigen Tropfen die Gehsteige, die aussehen wie Lakritze. In dieser Schattenwelt leuchtete das rot-weiße Schild, das den Ortsanfang von Bagnolet markierte wie eine Boje.
François bog nach links in eine kleine Straße ein, die hinauf in eine Gegend mit Einfamilienhäusern führte. Hier war die Stimmung schon nicht mehr ganz so deprimierend, vielmehr herrschte eine spießige Gemütlichkeit. Seit einigen Jahren besiedelten die alternativ angehauchten Wohlstandsbürger der drei an die Stadt angrenzenden Départements die Arbeiterviertel. Für ein paar zusätzliche Quadratmeter Wohnfläche waren sie bereit, sich unters Proletariat zu mischen. Tag für Tag wurde die Kolonie größer. Die Häuser wurden renoviert, die Preise stiegen, und die Immobilienhändler rieben sich die Hände.
Der Polizist folgte den Anweisungen seines Navi. Rechts abbiegen, hundert Meter. Dann eine weite Kurve, die ihn wieder in die Gegenrichtung führte. Eine Art Durchfahrtsstraße mit Einbahnregelung. Dann war er am Ziel.
Er fand die Nummer und parkte vor dem Haus. Das Domizil der Crémants war im Grunde ein Stadthaus, das unmittelbar an den Bürgersteig grenzte. Es bestand aus einem fensterlosen Erdgeschoss, an dem ein schwarzes Eingangsportal entlanglief, aus einem mit großen Glasfenstern versehenen ersten Stock und einem Mansardendach. Gegenüber befand sich nichts außer einer verfallenen Hütte mit zugemauerten Fenstern.
François klingelte. Aus der Gegensprechanlage ertönte eine schrille Stimme.
»Ja?«
»Kommissar Marchand. Ich hatte vorhin bei Ihnen angerufen.«
Die Metallsperre setzte sich in der Schiene in Bewegung. Dahinter befand sich unmittelbar eine Garage, in der ein brandneuer Mini Cooper stand. Rechter Hand gab eine angelehnte Tür den Blick auf einen langgestreckten Raum frei, den man zum Filmvorführraum hergerichtet hatte. Hinten an der Wand war eine steile Treppe angebaut.
Die Stimme kam aus dem Treppenschacht.
»Ich bin oben.«
Eine Frau erwartete ihn im ersten Stock. Hängende Schultern, langgliedrig, so etwa in den Vierzigern. Sie trug eine einfache Jeans, ein paar Converse-Chucks und einen blauen Pullover mit V-Ausschnitt. Sie sah aus wie eine Studentin, nur eben eine mit Falten. Ihre Gesichtszüge waren starr wie eine Porzellanmaske, sodass man den Eindruck hatte, sie habe sich gerade Heroin gespritzt.
»Madame Florence Crémant?«
Ein leichtes Nicken wie ein Automat. François reichte ihr die Hand.
»Danke, dass Sie mich empfangen.«
Mit der Inneneinrichtung hätte man sechs Seiten in einer Dekorationszeitschrift füllen können. Die Raumgestaltung war durchdacht, von der ursprünglichen Bruchbude hatte man nur die tragenden Wände stehen lassen, die aus rotem Backstein waren, sowie einen riesigen Kamin, der mit einer bronzenen Abzugshaube versehen war. Neben einer Trennwand gab es so gut wie überall Verglasungen und eine Eisentreppe, die wahrscheinlich zu den Schlafzimmern führte. Der Architekt, der dieses Werk geschaffen hatte, hatte ein riesiges Wohnzimmer kreiert, eine große, minimalistisch möblierte und mit topmodischen Stoffen ausgekleidete Wohnebene. In dieser ganzen Ödnis gab es nur eine einzige Tür, und die war durch die leuchtfarbenen gelben Polizeisiegel versperrt.
Wahrscheinlich die Küche.
François wollte sich den Tatort nicht anschauen. Was ihn interessierte, würde er dort gewiss nicht finden. Er ließ die Frau auf dem langen weißen Sofa Platz nehmen und setzte sich ihr gegenüber.
Wieder einmal fühlte er sich äußerst unwohl in der Situation, in die er durch seine Ermittlungsarbeit geraten war.
Er ging die Sache auf seine Art an.
»Wie schaffen Sie das alles?«
»Ich weiß nicht, es ist noch so frisch.«
»Und Ihr Mann?«
»Der hat keine ruhige Minute mehr. Zum Glück hält Hugo ihn auf Trab.«
»Wer ist Hugo?«
»Unser kleiner Sohn.«
Noch ein Kind. Dieses Detail hatte Forestier nicht erwähnt.
»Wie alt ist er?«
Ein kurzes Aufleuchten in ihren blassblauen Augen.
»Fünf.«
»Hat man es ihm gesagt?«
»Nein. Er
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