Wer Boeses saet
verklangen.
Plötzlich schrie sie auf. Der Kulminationspunkt dieses köstlichen Kampfes war erreicht. Der Hauptakkord einer verzweifelten Symphonie. François befreite sich durch seine Schreie. Eine Parenthese außerhalb des Realen, außerhalb der Zeit. Er war nur noch Feuer, eine Quelle, Wind …
Sie ließ sich auf ihn fallen. Es war ein Augenblick vollkommenen Glücks. Friede des Geistes und der Sinne. Die Ewigkeit, kondensiert in den Atemzügen, die wie ein einziger waren.
Dann kam schnell der Katzenjammer. Was war ihm da nur passiert? Eine Arbeitskollegin! Dabei hatte er es sich doch selbst zur Pflicht gemacht, Arbeit und Privatleben niemals zu vermischen.
Aber etwas war noch schlimmer. Er hatte soeben Diane betrogen. Und zwar wirklich. Auch im Kopf. Zum ersten Mal war das, was François empfand, mehr als nur eine körperliche Beziehung. Julia hatte ihn weit darüber hinausgetragen, bis zu dem Verschmelzungspunkt, an dem die Seelen sich begegnen. Sie hatte ihm soeben ein Fünkchen Leben eingehaucht, eines, für das er noch gar nicht bereit war.
»Nicht schlecht für so einen alten Knaben …«
Ihre heisere Stimme war nur noch ein Raunen. Warm, einnehmend wie ein Schluck Milch mit Honig.
François antwortete nicht. Er war im siebten Himmel, und seine Füße brannten in der Hölle. Sie richtete sich auf und sah ihm in die Augen.
»Bedauerst du es?«
»Nein …«
»Doch.«
Sie schmiegte sich wieder an ihn.
»Umso schlimmer für dich. Wenn du weiterhin mit den Toten leben möchtest, kann ich dich nicht daran hindern.«
Die Stille, die diesen Worten folgte, entfernte sie ein Stück mehr voneinander. Er dachte über sein Leben nach, das mittlerweile einem Priesterdasein gleichkam. Als er den Sarg seiner Frau zunagelte, hatte François sich mit ihr begraben. Er hatte Einsamkeit und Unglück geschworen, so wie andere den Schwur des Teilens und der Liebe leisten. Und wenn er Zweifel bekam, musste er nur an Charlotte denken. Ein verlorenes Mädchen, dem er die Mutter genommen hatte, das Büßerhemd, das ihn an seine Schuld erinnerte.
Innerhalb weniger Minuten hatte Julia alles zum Einsturz gebracht. Die Wahrheit kam mit der Gewalt eines Tornados, mitten ins Gesicht. Sie zwang ihn, sein Leben anzuschauen. Alles zu überdenken.
Diese Nacht war die Nacht seiner Wiederauferstehung.
Es würde dauern, bis er das akzeptieren könnte.
III Justine
31
»Hallo, meine Große, hier ist Papa.«
»Wo bist du?«
»Auf der Autobahn. Hast du meine Nachrichten bekommen?«
»Ich hatte keine Zeit, dich zurückzurufen.«
François wollte seiner Tochter keine Vorwürfe machen. Das hatte er noch nie getan. Sein Erziehungsstil war eher darauf angelegt, dass man das Gespräch suchte, sich dem anderen erklärte. Und überhaupt, allein schon der Tonfall ihrer Stimme ließ ihn dahinschmelzen.
Er fragte leichthin:
»Geht’s dir gut?«
»Super.«
»Ist es cool bei der Oma?«
»Wie immer. Kommst du heute Abend nach Hause?«
Das wäre jetzt sein Traum gewesen. Einen netten Abend mit Charlotte verbringen, nur sie beide. Sushi, frisch gepresster Fruchtsaft und eine amerikanische Fernsehserie.
»Ich werd’s versuchen.«
Schweigen am anderen Ende.
»Hör mal, mein Püppchen … Seit drei Tagen ist das ein bisschen kompliziert.«
»Wenn’s erst seit drei Tagen so wäre …«
»Stimmt … Die Schuld liegt ganz auf meiner Seite. Ich schwöre dir, ich werde das wiedergutmachen.«
»Lass gut sein. Oma hat Hamburger für mich.«
»So ein Zeug solltest du aber nicht futtern.«
»Ich liebe dieses Zeug.«
»Das ist voller Cholesterol.«
»Du brauchst ja nur öfter herzukommen. Dann bräuchte ich dieses Zeug nicht essen.«
»Mein Schatz …«
Im Hintergrund hörte man einen Klingelton.
»Ich muss in die Klasse zurück. Rufst du mich wieder an?«
Zum Antworten blieb keine Zeit. Sie hatte schon aufgelegt.
Heftig klappte François sein Handy zu. Er hatte große Lust, es aus dem Fenster zu werfen. Diese Telefongespräche hinterließen immer einen bitteren Nachgeschmack. Hastig ausgetauschte, nichtssagende Worte, es war frustrierend. Seit einiger Zeit war das der einzige Austausch, den sie noch hatten.
Dann schob sich Julias Gesicht über Charlottes Bild, was ein wenig Balsam für sein gemartertes Herz war. Die Natur verabscheute die Leere. Sie tat stets alles dafür, dass die Lücken gefüllt wurden. In dem Moment, da seine Tochter sich entfernte, trat eine andere Frau in sein Leben.
Er hatte sie am frühen Morgen vor dem
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