Wer Boeses saet
Tschetschenen zu Dämonen hochstilisieren und damit seine Besatzungspolitik rechtfertigen können.«
Julia erschauderte. Die Strategie des russischen Premierministers war hier nicht so wichtig, aber der Begriff, mit dem er seine Widersacher bezeichnete, weckte ihre Aufmerksamkeit: »Dämonen«.
Sie fragte:
»Wird die Gruppe denn mit Satanismus in Verbindung gebracht?«
Roland zuckte die Schultern, als läge die Antwort auf diese Frage auf der Hand.
»Aber natürlich …«
Hier schloss sich der Kreis. Wenn man auf Gott spuckte, wer sonst könnte einen dann aufnehmen, wenn nicht der Teufel?
Julia bedankte sich bei ihrem Freund mit einem begeisterten Kuss auf die Wange.
»Du bist großartig.«
Er lächelte sie an.
»Willst du jetzt die Gefolgsleute Satans in die Zange nehmen?«
»Das ist mein Job.«
»Pass bloß auf, da riskierst du die tollsten Überraschungen.«
Sie öffnete mit beiden Händen ihren Anorak und zeigte ihm die Waffe, die unter ihrer Achsel befestigt war.
»Mach dir mal keine Sorgen. Ich bin gewappnet.«
34
Die Information war Gold wert.
Falls das Opfer aus Grenoble tatsächlich Satanist geworden war, würde das interessante Perspektiven eröffnen.
Julia war versucht, dieser Fährte im Alleingang nachzugehen, ohne François Bericht zu erstatten. Nach der Sackgasse mit »Meetic« und nachdem Galthier, Lucies letzter Kunde, auch aus dem Rennen der Verdächtigen ausgeschieden war, wollte sie beweisen, dass auch sie ihr Bestes geben konnte. Hier war Stolz im Spiel, was gewiss nicht gut war, aber die Vorstellung, dass in ihrer Beziehung einer den anderen dominierte, gefiel ihr gar nicht. Seitdem sie sich begegnet waren, war immer François derjenige gewesen, der Bescheid wusste, der das Sagen hatte, und wahrscheinlich auch derjenige, der urteilte. Sollte ihre Geschichte sich weiterentwickeln können, musste auf der Stelle ein Gleichgewicht hergestellt werden.
Das Problem war: Sie war in Avignon, und Devaux hatte sie im Visier. Bevor sie etwas tun konnte, musste sie ihn erst einmal beruhigen.
Sie stieg in den zivilen Polizeiwagen, einen 306er, verließ den von der Stadtmauer umfriedeten Bereich durch das Südtor und fuhr auf die Umgehungsstraße.
Siebzehn Uhr dreißig. Es war tiefschwarze Nacht und bitterkalt. Die Lampen am Straßenrand waren zu schwach, um die Boote zu beleuchten, die aussahen wie Campingwagen. Dichter Nebel stieg vom Wasser auf, sodass man fast das Gefühl hatte, in ihm fließe eine heiße Quelle.
Julia stellte ihr Navi ein. Éric und Jennifer Barmont wohnten in einer Villa oberhalb von Villeneuve-lès-Avignon, einem mittelalterlichen Dorf, das auf der anderen Seite des Flusses auf einem Hügel lag. Das Paar hatte der Ermittlungsbeamtin vorgeschlagen, sich unauffällig bei ihnen zu Hause zu treffen.
Sie überquerte die riesige Brücke über die Rhône. Jedes Mal, wenn sie das tat, kamen ihr die ersten Strophen des berühmten Kinderliedes in den Sinn: »Sur le pont d’Avignon, on y danse, on y danse …« Heute Abend hatte niemand Lust zu tanzen. Jeder wollte nur so schnell wie möglich in sein Refugium fliehen oder in der Anonymität seines warmen Autos sitzen.
Die junge Frau schaltete das Radio ein. Blödsinnige Jingles verstopften die Frequenzen, kurzlebige Oden an die Konsumgesellschaft. Sie drehte den Ton leiser und konzentrierte sich auf die Straße. Die Bundesstraße stieg zwischen einer Reihe im Bau befindlicher Häuser sanft an. Am Ende erhoben sich die Festungsmauern des Fort Saint-André. Hoch, uneinnehmbar, aus schwerem, von Schießscharten durchbrochenem Stein erbaut. Lange Zeit hatten sie die Karthäuserabtei vor den Invasionen der Barbaren geschützt.
Julia fuhr gut einen Kilometer an den Mauern entlang. Nachdem sie das Dorf verlassen hatte, bog sie in einen Weg ein, der zu einer Siedlung hinunterführte. Das dritte Haus links mit dem weißen Eingangsportal. Lucies Vater hatte ihr versichert, sie könne sich unmöglich irren.
Sie fand es problemlos und parkte vor einem Zaun. Ein kurzer Blick auf die Uhr – achtzehn Uhr. Pünktlich wie die Maurer.
Sie klingelte. Keine Antwort. Sie versuchte es noch zwei- oder dreimal, ohne Erfolg. Nach fünf Minuten stieg sie völlig durchgefroren wieder in ihren Peugeot. Sie wollte gerade die Nummer von Éric Barmont anrufen, als im Rückspiegel Scheinwerfer aufleuchteten. Ein BMW blieb auf ihrer Höhe stehen, während das Portal über die Schienen glitt und sich öffnete. Mit einer Handbewegung forderte der Fahrer
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