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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Descosse
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abgeholt.«
    François merkte sich das, ohne weiter darauf einzugehen. Genau wie Pierre konnte auch Justine ihre Geheimnisse haben.
    »Mit wem hatte sie Umgang?«
    »Mit Schulfreunden vom Gymnasium.«
    »Könnten Sie mir ein paar Namen nennen?«
    »Ja … selbstverständlich.«
    »Ich nehme an, sie hatte ein Handy?«
    »Natürlich.«
    »Dann hätte ich auch gerne ihre Nummer.«
    Sie rieb sich die Stirn.
    »Und Sie glauben nicht, dass es sich um einen Jungen in ihrem Alter handelt?«
    »Nein. Ich versuche, mir ein besseres Bild von ihrem Umfeld zu machen. Mit wem sie sich traf, wo sie hinging, was sie machte. Es ist wahrscheinlich, dass sie Ihnen gewisse Dinge verheimlicht hat.«
    »Wir haben viel miteinander geredet. Ich hatte immer ein offenes Ohr für sie.«
    »Daran zweifle ich nicht. Nur manchmal genügt das nicht.«
    Florence Crémant ließ sich in die Kissen zurückfallen. Ihr Blick verdüsterte sich.
    »Ich weiß …«
    Sie atmete tief aus.
    Der Psychoanalytiker spürte, dass sie sich öffnete.
    »Was möchten Sie sagen?«
    »Ich dachte, es sei vorbei. Alles wäre wieder in Ordnung. Aber da habe ich mich wohl geirrt, könnte man meinen …«
    François wartete ab, was sie ihm anvertrauen würde. Ihre Stimme klang tonlos.
    »Vor zwei Jahren machte Justine eine schwierige Phase durch. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut, war reizbar, weinte wegen nichts. Anfangs haben wir uns keine Sorgen gemacht. Schließlich kam sie ja in die Pubertät … Und dann ging alles sehr schnell. Erst sagte sie, sie sei zu dick und müsse eine Diät machen. Sie fing an abzunehmen. Viel, zu viel. Eines Nachts hörten wir Schreien in der Küche. Völlig panisch eilten wir nach unten. Sie lag zusammengekauert auf dem Boden, mitten in ihrem Erbrochenen. Auf dem Tisch standen sechs große Dosen Ravioli. Leer.«
    Sie sprach völlig tonlos. Tränen rollten ihr über die Wangen. François ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er seine Diagnose aussprach.
    »Justine war anorektisch.«
    »Das ist wohl der Begriff dafür.«
    »Kam sie in Behandlung?«
    »Ja. Und mit erstaunlichem Erfolg.«
    »Warum sagen Sie dann, dass nichts davon zu Ende war?«
    In seinen Worten lag eine gewisse Verärgerung.
    »Weil Sie mir das alles gerade berichtet haben. Justine war magersüchtig, weil sie litt. Und ich war der Grund dafür. Was heißt das schon, dass sie diese Scheißkrankheit geheilt haben. Wenn Sie meinen, dass es ihr schlecht ging, dann heißt das, dass man die Wurzeln nicht ausgerissen hatte.«
    Sie brach in Tränen aus. Ihr Geständnis hatte eine Schuld zutage gebracht, die sehr auf ihr lastete. Welche Schuld? Das war jetzt nicht so wichtig. Zu dem Schmerz über den Verlust gesellten sich auch noch massive Schuldgefühle.
    François hätte ihr gerne geholfen. Sein Werdegang hätte ihm das ermöglicht, es wäre legitim gewesen. Aber er war kein Psychiater mehr. Sein jetziger Beruf bestand darin, den Verrückten zu finden, der Justine abgeschlachtet hatte. Daher musste er sich ganz auf sie konzentrieren.
    »Wo ist sie behandelt worden?«
    »In Garches.«
    »In der Clinique du Lac?«
    »Kennen Sie die?«
    »Ich habe davon gehört.«
    »Und zwar zu Recht. Diese Einrichtung ist der Rolls Royce der Behandlungszentren für Depressionen. Alle Psychiater in der Region hatten ihre Patienten dorthin geschickt.«
    »Wie hieß der behandelnde Arzt?«
    »Dr. Giraud.«
    »Paul Giraud?«
    »Ja … Aber wie …«
    »Das ist eine alte Geschichte.«
    Die Frau sah ihn fest an. Sie war verwirrt.
    »Darf ich Sie etwas fragen?«
    »Aber sicher.«
    »Wer sind Sie wirklich, Monsieur?«
    François stand auf und brachte seine Weste in Ordnung.
    »Ein Polizeibeamter. Sonst nichts.«
    33
    Wie hatte sie nur so blöd sein können!
    Herrgott, was war nur in sie gefahren, sich auf diesen Typen zu werfen? Er war nicht nur zu alt für sie. Aber wenn’s nur das wäre, damit wäre sie schon klargekommen. Nein, was sie so wütend machte, war, dass sie die Kategorien durcheinandergebracht hatte. Job und Bettgeschichten, das passte nur selten gut zusammen. Jeder wusste das.
    Aber hier ging es nicht nur um Sex. Sie hatte etwas gespürt. Eine Anziehung, eine Verwirrtheit, die sie zunächst einfach beiseitegeschoben hatte.
    Bis zu diesem Gespräch im Hotelzimmer …
    Da ließ es sich nicht länger verleugnen. François gehörte zu den Männern, denen man sich anvertrauen konnte, auf die man sich verlassen konnte. Und das lag nicht an seinem früheren Beruf, denn dem Gequatsche

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